Stereotyp, Vorurteil oder doch schon Diskriminierung?

Im Alltag werden Objekte, Ereignisse, oder auch Menschen oft zu Gruppen zusammengefasst, um mit der Flut an Informationen besser umgehen zu können. Wann solche Kategorisierungen als stereotyp, vorurteilsbehaftet oder sogar diskriminierend gelten, wird im Weiteren erläutert.

Soziale Identität, Selbstkategorisierung und Depersonalisierung

Wer wir sind und wie wir uns und andere beschreiben setzt sich zusammen aus ganz individuellen, persönlichen Eigenschaften (z. B. humorvoll) und der Einordnung in Gruppen (z. B. Mutter). Diese zwei Aspekte des Selbst werden in unterschiedlichen Kontexten relevant für uns. Die Theorie der sozialen Identität (1) hat sich mit diesen Aspekten des Selbst auseinandergesetzt und bezeichnet ersteren als personale Identität und letzteren als soziale Identität.

Den Prozess sich selbst eher als Teil einer Gruppe oder eher als Individuum wahrzunehmen, nennt man Selbstkategorisierung (2). Bei der Selbstkategorisierung geht es darum seine Einzigartigkeit herauszustellen und sich abzugrenzen. Wenn die personale Identität aktiv ist, grenzt man sich gegenüber einzelnen Individuen ab. Ist die soziale Identität aktiv, geht es darum sich als Teil einer Gruppe gegenüber anderen Gruppen abzugrenzen. Dann bleibt ein Großteil der personalen Identität ausgeblendet (Depersonalisierung (3) ). Die Depersonalisierung ist die Basis vieler Gruppenphänomene, wie z. B. gruppenkonformen Verhaltens. Schon Dreijährige stellen Vergleiche anhand von Kategorien wie Geschlecht oder Alter an und grenzen sich damit ab: z. B. Jungs gegen Mädchen. Die Merkmale, die sie dabei zuschreiben, übernehmen sie in ihr Selbstbild (z. B. spielen nur Mädchen mit Puppen).

Eigengruppe, Fremdgruppe, soziale Identifikation

Eine positive soziale Identität erreicht man über die Bindung und Zugehörigkeit zu verschiedenen sozialen Gruppen (die ingroups oder Eigengruppen) und durch den Vergleich mit anderen relevanten sozialen Gruppen (die outgroups oder Fremdgruppen), der zugunsten der Eigengruppe ausfällt. Den Prozess der Bindung an solche Gruppen nennt man soziale Identifikation (3). Fällt der Vergleich zwischen Eigen- und Fremdgruppe negativ aus, sucht man automatisch nach Strategien, diese negative Zuschreibung zu beenden, indem man z. B. Vergleiche in Bereichen anstrebt, die für die Eigengruppe positiv ausfallen.

Homogenitätseffekt und selektive Wahrnehmung

Bei den Vergleichen zwischen Eigen- und Fremdgruppe werden die Mitglieder der Fremdgruppe meist als ähnlicher zueinander wahrgenommen, als die Mitglieder der Eigengruppe (Outgroup-Homogenität (3)). Zusätzlich achtet man eher auf Informationen, die die Eigengruppe positiv bzw. die Fremdgruppe negativ darstellen (selektive Wahrnehmung (3)). Aussagen, in denen bestimmten Bevölkerungsgruppen unterstellt wird, ihre Kinder kämen immer nach der Bringzeit, sind stark verallgemeinernd. Sie implizieren, dass Kinder anderer Eltern immer pünktlich ankommen. Regelmäßiges Zuspätkommen von Kindern „anderer“ Eltern wird dann meist als Ausnahme wahrgenommen.

Stereotype, Vorurteile und Diskriminierung

Einschätzungen gegenüber einer sozialen Gruppe werden oft anhand von Einstellungen getroffen. Meist gibt es dabei einen Konsens darüber, welche Eigenschaften oder Verhaltensweisen eine soziale Gruppe anderen sozialen Gruppen zuspricht. Diese Einstellungen haben drei Komponenten: eine kognitive, eine affektive (emotionale) und eine verhaltensbasierte. Je nachdem welche der Komponenten bei der Einschätzung überwiegt, spricht man von Stereotyp, Vorurteil oder Diskriminierung (3).

Werden Einschätzungen allein über die kognitive Komponente getroffen ohne weitere Bewertung, dann spricht man von einem Stereotyp. Hierbei handelt es sich um Verallgemeinerungen über alle Mitglieder einer sozialen Gruppe (Fremdgruppe), ohne eventuelle Unterschiede innerhalb der Gruppe zu berücksichtigen. Solche Verallgemeinerungen sind prinzipiell sehr hilfreich, um die Komplexität der Umwelt zu vereinfachen und daher sinnvoll für unseren Alltag. Dabei ist zu beachten, dass sie aber nicht immer zutreffen. Auch besteht dadurch die Gefahr, zu einer falschen Schlussfolgerung über ein Mitglied der Fremdgruppe zu kommen. Zu behaupten, dass z. B. alle Jungs Fußball spielen wird, sofort widerlegt, wenn ein Junge dies nicht gern tut, trotzdem ist das ein gängiges Stereotyp.

Von Vorurteil spricht man, wenn bei der Einschätzung einer sozialen Gruppe (Fremdgruppe) eine affektive, also emotional getroffene Bewertung überwiegt, die meist wenig reflektiert und vorab gefällt wird. Sie beruht oft nicht auf konkreten Erfahrungen mit der bewerteten sozialen Gruppe, sondern auf der vorweggenommenen Zuschreibung von Merkmalen. Vorurteile dienen überwie-gend dazu, die eingeschätzte soziale Gruppe (Fremdgruppe) herabzusetzen. Dabei geht eine Bevorzugung der Eigengruppe voraus (ingroupbias). Ein Vorurteil wäre also, wenn man behauptet Mädchen können einfach kein Fußball spielen.


Wir alle haben Stereotype und Vorurteile im Kopf. Das ist menschlich. Wichtig ist es aber, sich dessen bewusst zu sein und sich nicht zu diskriminierendem Verhalten verleiten zu lassen.


Diskriminierung nennt man die „erfahrbare, verhaltensbasierte“ Benachteiligung (oder Bevorteilung) von Menschen aufgrund eines schützenswerten Merkmales ohne sachliche Rechtfertigung und ohne Erfordernis und Angemessenheit der Benachteiligung. Als schützenswert gelten dabei Merkmale, wie ethnische Zugehörigkeit, Religion, Weltanschauung, Geschlecht, sexuelle Identität, Alter und Gesundheitszustand gemäß dem Allg. Gleichbe-handlungsgesetz (AGG). Eine gängige sachliche Rechtfertigung ist z. B. der Jugendschutz. Demnach ist es sachlich gerechtfertigt und als Maßnahme erforderlich und angemessen eine Altersgrenze für den Ausschank von Alkohol an Jugendliche festzulegen. Diskriminierend wäre allerdings das Einlassverbot für bestimmte Jugendliche in Jugendclubs z. B. aufgrund der ethnischen Herkunft. Am Beispiel des Fußballs wäre es diskriminierend Mädchen das Fußballspielen oder Jungs das Spielen mit Puppen zu verbieten.

Wie im frühkindlichen Bereich professionell mit Stereotypen, Vorurteilen oder auch mit den verschiedenen Arten von Diskriminierung umgegangen wird, wird in weiteren Texten beleuchtet.


Anmerkungen:

  • Tajfel, H. & Turner, J. C. (1979). An integrative theory of intergroup conflict. In W. G. Austin & S. Worchel (Eds.), The social psychology of intergroup relations (S. 33–48). Mon-terey, CA: Brooks/Cole.
  • Turner, J. C., Hogg, M. A., Oakes, P. J., Reicher, S. D. & Wetherell, M. S. (1987). Rediscovering the social group: A self-categorization theory. New York: Basil Blackwell.
  • Piontkowski, U. (2012). Sozialpsychologie: Eine Einführung in die Psychologie sozialer Interaktion. München: Oldenbourg
  • Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2018). Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). https://www .antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Downloads/DE/ publikatio-nen/AGG/agg_gleichbehandlungsgesetz.pdf?__blob =publicationFile
  • Bertelsmann Stiftung (2015). Faktensammlung Diskriminierung. Programm Integration und Bildung der Bertelsmann Stiftung. https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/ Projek-te/28_Einwanderung_und_ Vielfalt/Faktensammlung _Diskriminierung_BSt_2015.pdf


Weiterführender Lesetipp:

Rassismus und Rechtextremismus in KiTa und Tagespflege



Hinweis:

Dieser Text ist im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung des vom Bundesfamilienministerium geförderten Programms „Kita-Einstieg: Brücken bauen in frühe Bildung“ durch das nifbe entstanden. Er ist ein Teil des digitalen Sammelordners "Kita-Einstieg Wissen kompakt" mit knappen prägnanten Texten zu diesem Themenbereich und einer Einführung zum Hintergrund.

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