Die digitale Kita

Sie kommt nicht bald – eigentlich ist sie schon längst da

5 Säulen der »Kita Digital« ■ Anton pflückt gerne Äpfel. Rote, grüne, blaue, violette. Er fährt auch gerne Auto. Am liebsten ganz schnell durch alle Loopings durch. Manchmal schießt er auch das entscheidende Tor und wird Weltmeister. 10 Mal hat er das schon geschafft. Gerade ist er jedoch am liebsten in Lazulis Garten und lernt mit dem lustigen, blauen Hund Farben, Formen und Zahlen kennen. Anton ist 4 Jahre alt und spielt gerne mit dem Tablet ...

Was soll das mit der Digitalisierung? An jeder Ecke hören wir den Ruf danach. In der Politik. In der Gesellschaft und damit natürlich auch in der Bildung. Jetzt also auch in der Kita? Na, prima. Wo stehen Kindergärten und Kitas bei diesem Thema? Wie so oft: genau dazwischen.

Viel zu leichtfertig wird diese so immens wichtige Institution für die Entwicklung unserer Kinder als sozialer Dienstleister herangezogen. Ein Dienstleister, der diese Digitalisierung einfach doch mal bitteschön im Vorbeilaufen mitmachen soll. Wird ja nicht so schwer sein! Oder doch?

Grundsätzlich stellt sich die Frage nach dem ob nicht mehr wirklich. Unsere Kinder sind in ihrer Lebensrealität schon in einem digitalen Bezug. Jetzt. In diesem Moment.

Die Kita ist ein Ort des Erlebens, des Spielens und des (Er-) Lernens. Die Trias Kind – Kita – Familie ist immer durch einen starken Alltagsbezug geprägt. Daraus leitet sich auch fachlich-pädagogisch der Auftrag ab, dass wir es als Institution Kita schaffen müssen, digitalen Input frühkindlich-pädagogisch adäquat und altersentsprechend einfließen zu lassen, ohne dabei die Reize des analogen Spiels zu vernachlässigen.

Die digitale Kita meint nicht »digital um jeden Preis«, sondern ausschließlich »digital mit Mehrwert«. Doch wie finden wir eben diese digitale Balance?

Der Kita wird bei der Zukunftsgestaltung unserer Kinder eine besondere Rolle zuteil. Einerseits ist es das Ziel, die Vorbereitung auf das spätere Lernen und Leben zu gewährleisten. Andererseits sollen die Kinder frei und unbedarft spielen können. Sicherlich darf es – das direkt einmal vorweggenommen – keinesfalls das Ziel von digitalen Impulsen in der frühkindlich-pädagogischen Begleitung von Kindern sein, die Kinder möglichst gewinnbringend für die Wirtschaft zu modellieren.

Wir brauchen kein Digital in deutschen Kindergärten, damit die Kinder später effizienter ihre digitalgestützte Arbeits- und Lebenswelten bewältigen können, ohne von der Omnipräsenz des ständigen Verfügbarseins vereinnahmt zu werden. Digital ist ein Teil der Lebensrealität der Kinder. Das gilt es zu akzeptieren.

Wir stehen demzufolge nicht vor dem hohen, steinigen Berg einer »Entweder-Oder-Debatte«, sondern befinden uns gemeinsam auf dem Wanderweg hin zu einer akzeptierenden und reflektierten digitalen Kultur.

In fünf Thesen möchte ich die Säulen der digitalen Kita beleuchten:

1. Wollen wir medienkompetente Kinder, brauchen wir medienkompetente Erwachsene

Machen wir uns nichts vor. Nahezu jedes Kind ist digitalen Einflüssen ausgesetzt. Die digitale Kita kommt nicht bald – eigentlich ist sie schon längst da. Ungewollt – manchmal auch gewollt – bei Bus-, Bahn- und Zugfahrten, bei Spielplatzbesuchen, im Wartezimmer ... – kurzum: bei fast jeder Bewegung im öffentlichen Raum.

Das hat Auswirkungen auf unsere Kinder. Kinder orientieren sich in ihrer Entwicklung am Modelllernen. Sie wählen sich Vorbilder aus, deren Verhalten sie nachahmen. Wünschen wir uns also Kinder, die die Fähigkeiten besitzen, Medien adäquat für sich nutzbar zu machen, dann müssen wir im ersten Schritt damit bei uns selbst anfangen. Doch gerade dieser Schritt ist oftmals unangenehm. Seien wir doch mal ehrlich: Unsere Kinder sind es nämlich nicht, die am Essenstisch oder auf dem Spielplatz die Mails aus dem Büro checken. Wir leben unseren Kindern ein bestimmtes Medienverhalten vor. Wir erheben – je nach Umgang damit – Smartphone und Tablet zu besonders wichtigen Teilen von uns. Oder eben auch nicht.

Wir dürfen uns nicht wundern, wenn sich unsere Kinder von digitalen Anwendungen in den Bann ziehen lassen, wenn selbst jede Vibrationsmitteilung dieser Geräte uns aus unserer Handlung herauszuziehen vermag. Nach einer Studie der Universität Bonn (siehe Projekt Menthal Balance) schauen Erwachsene im Durchschnitt 88 Mal am Tag auf ihr Smartphone. 88 Gelegenheiten, um ein Vorbild zu sein.

Für die Arbeit in der Kita bedeutet das, dass wir uns als Institution auch stärker hinterfragen müssen. War es wirklich notwendig, dass 15 Eltern beim Nikolausfest das Weihnachtssingen der Kinder gefilmt haben? Wäre da nicht der oder die eine Filmende Erzieher/in ausreichend gewesen, der/die später das Video allen Eltern und Gästen zur Verfügung stellt? Müssen wir es als pädagogisches Team billigen, dass nachmittags Eltern mit dem Smartphone zwischen Schulter und Ohr ihre Kinder abholen und den Flur zeitweise als begehbare Telefonzelle missbrauchen?

Was geben wir den Kindern für ein Bild von digitaler Kommunikation mit, wenn wir sie so nach einem Kita-Tag voller Abenteuer und Ereignisse in Empfang nehmen? Ich denke, die digitale Transformation der Kita sollte immer auch mit einer emanzipatorischen Bildung einer digitalen Haltung einhergehen. Die Kita ist kein Internetcafé, aber sicher auch keine analoge Höhle.

Als pädagogische Fachkräfte tun wir Smartphones und Tablets grundsätzlich unrecht, wenn wir sie als gut oder schlecht bewerten. Sie sind keines von beiden. Sie sind erst einmal nur technische Werkzeuge mit Chancen und Grenzen.

2. Das Tablet ist keine Zauberkiste

Die Anerkennung von Smartphone und Tablet als das was sie sind – technische Geräte – führt uns dann nämlich zu der Erkenntnis, dass das Tablet demzufolge auch keine Zauberkiste ist. So betrachten wir es jedoch oft genug. Die Folge ist, dass der pädagogische Einsatz von Tablets, quasi als mediales Zugangstor, maßlos unterschätzt wird. »Hin und wieder eine Folge der Kinderserie XY auf dem Tablet schauen, das ist schon ok«, höre ich Eltern mit einem fragwürdig entschuldigenden Unterton nur allzu oft sagen.

Nein, ist es nicht. Ja, ist es. Beides ist möglich. Auch hier kommen wir mit »schwarz« oder »weiß« nicht weiter. Wir sollten versuchen, differenzierter auf diese Haltung zu schauen. Nein, das Tablet ist kein tragbarer Fernseher. Jedenfalls nicht nur. Wenn wir es dazu (ver)kommen lassen, provozieren wir, dass unsere Kinder digitale Konsumenten werden. Sie begeben sich dann in die Einbahnstraße des Mediengebrauchs.

Digitale Anwendungen für Kinder haben heute die Chance, auch ein Interagieren zu ermöglichen, statt eines eindimensionalen Konsumierens. Ja, ein Tablet kann noch viel mehr. Es gibt wunderbare digitale Anwendungen, bei denen Kinder Digital mit Mehrwert erfahren.

Im Projekt DigiKids haben wir beispielsweise einen Workshop mit dem Titel »Natur Digital«. Dazu gehen wir im ersten Schritt mit Tablets in den Garten oder Wald (je nachdem was verfügbar ist), und fotografieren Bäume, Sträucher, Blumen etc. ab. Im nächsten Schritt erarbeiten wir alle zusammen – immer noch am Tablet – eine Collage, die wir mithilfe eines Beamers im Großformat an die Wand bringen. Danach gibt es drei Stationen. Die Kinder können frei wählen, ob sie a) die Waldprojektion mit Filzstiften bemalen, b) auf dem Tablet per Smartpen individualisieren, oder c) die Wand mit Stickern bekleben möchten. SIE gestalten ihren Wald. Ohne IHRE Kreativität wäre die Collage gar nicht da. Das ist nur ein Beispiel für den kreativen, mehrwertschätzenden Einsatz von Tablets in Kinderhänden.

3. Medienzeit ist Kitazeit

Kinder dürfen digitale Medien erleben. Das sollen sie sogar. Auch, weil Digital helfen kann, mit der Umwelt auf eine neue Weise zu interagieren. Mehr noch, weil Digital Teil unserer Umwelt geworden ist. Der Kindergarten bzw. die Kindertagesstätte sind perfekte Orte, um digitale Medien ausgewogen und pädagogisch begleitend einfließen zu lassen.

Auch an dieser Stelle sind wir Erwachsenen jedoch im ersten Schritt gefragt. Um ein Medium zielgerecht einsetzen zu können, muss ich es ein Stück weit kennen. In unserem Fall muss das Medium überhaupt erstmal vorhanden sein. Die »Kita digital« wird nicht gelingen können, wenn wir nicht auch die ökonomische Kraft dazu aufbringen (wollen).

Pädagogischen Fachpersonal muss geschult werden, Geräte wollen gewartet werden, usw. Aktuell geschieht dies meist auf dem Rücken der jeweiligen Erzieherinnen und Erzieher. Das ist schier eine Katastrophe, zum einen, weil wir vergleichbare und qualitativ hochwertige Standards brauchen, zum anderen, weil es absolut unzumutbar ist, dass der/ die Erzieher/in auch noch in der Freizeit oder in der kurzen Kaffeepause in der Kita, die o.g. Aufgaben übernimmt.

Wer »Kita Digital« will, der muss auch entsprechende Stellenanteile schaffen. Je nach Größe der Einrichtung bedeutet das, dass eine Kita – genauso wie ein mittelständiges Unternehmen – einen eigenen Systemadministrator braucht.
Diese digitale Aufbruchsstimmung, die ich in vielen Kitas bundesweit spüre, lässt an der Stelle hoffen. Wir sollten bei dem ganzen Prozess jedoch nicht den Fehler machen, (schon wieder) die Kinder (um die geht es nämlich zu einem großen Teil) auszuschließen, sondern in eben diese Prozesse miteinzubeziehen. Digitaler Medieneinsatz soll also gemeinschaftlich mit den Kindern und nicht über deren Köpfe hinweg gelebt werden.

4. Digital ist cool – analog erst recht

Es gibt für mich viele gute Gründe, Kinder im Kita-Alter begleitet, altersentsprechend und ausgewogen in Berührung mit digitalen Medien zu bringen. Das bedeutet für mich jedoch nicht, dass wir das immer und um jeden Preis tun sollten.

Kinder brauchen das haptische Erleben. Mehr als alles andere. Sie möchten und müssen mit ihrer Umwelt in Kontakt treten. Sie wollen, ganz natürlich, einen »Impact« auf eben diese haben. Das sind wichtige Grundbedürfnisse aller Kinder. Das bedeutet in der Schlussfolgerung, dass nicht alles durchdigitalisiert werden muss. Kein Kind und keine Kita braucht die Bauklötze-Stapel-App. Warum denn auch? Eine digitale Version hat überhaupt keinen Mehrwert! Jede – wirklich jede – Kita wird in irgendeiner Form stapelbare Holzkörper haben. Wenn nicht, können diese in einer gemeinsamen Aktion mit Kindern gemeinsam mit Holzresten aus dem nächsten Baumarkt gebastelt werden. Die App mit gleichem Inhalt braucht es dafür nicht. Hier lernen die Kinder nämlich nicht, wie es sich anfühlt, lackiertes oder unbehandeltes Holz anzufassen. Sie spüren nicht die Instabilität, kurz bevor das Turmgebilde umkippt. Sie hören nichts von dem lustigen Poltern der vielen Klötze auf dem Boden. Nein, in der digitalen Variante wischen sie bloß auf einer bunten Glasplatte herum – und haben damit viel haptisches Erleben verpasst.

Darüber hinaus ist Digital genau dann Unsinn, wenn es als Ersatz für soziale Beziehungen, für Verantwortung, (Be-) Greifen und das (Er-)Lernen in der realen Welt herhalten soll.

Einen kleinen Exkurs erlaube ich mir zudem an dieser Stelle: Bei all den strahlenden und verlockend bequemen digitalen Möglichkeiten sollten wir uns im Umgang mit Kindern vor allem auf eines besinnen: Das gemeinsame Vorlesen. Ganz klassisch mit einem Buch. Aus Seiten und wahlweise Klappen. Zum Umblättern und gemeinsam Entschleunigen und innige Qualitätszeit erleben.

In unserem DigiKids-Kinderworkshops hat noch kein Kind jemals gesagt, dass es lieber am Tablet spielen möchte, als von Papa oder Mama vorgelesen zu bekommen. Keines. Das ist ein großes Statement, wie ich finde, in der immer mehr durchdigitalisierten Gesellschaft.

5. Wir brauchen starke Kinder, keine digitalen Analphabeten

Digitale Medien gehören zu der Lebensrealität unserer Kinder dazu. Für uns Erwachsene leitet sich der Schluss daraus ab, dass wir für unsere Kinder digitale (Frei-)Räume schaffen sollten. Der Psychiater Bert te Wildt – er leitete damals die Onlinesucht-Ambulanz OASIS in Bochum – prägte das Bild der digitalen (Frei-)Räume, den ich in diesem Zusammenhang als sehr wertvoll erachte.

Beide Seiten haben ihre Berechtigung. Beide Seiten braucht es für eine digitale Balance. Wie lange sollte mein Kind in einem solchen digitalen Raum verweilen? Die berühmte Frage nach dem »wie lange?« oder dem oftmals dahinterstehenden »wie viel ist zu viel?« lässt sich – nach meinem Gefühl – nicht quantitativ im Sinne von Minuten- Einheiten, sondern vielmehr qualitativ beantworten.

Zudem variiert die zeitliche Aufnahme- und Verarbeitungskapazität stark mit dem digitalen Inhalt, den das Kind erfährt. Gerade bei jüngeren Kindern machen zeitlich greifbare Limits Sinn.

»Du darfst so lange spielen, bis der große Zeiger ...« oder »... wenn ich hier aufgeräumt habe, beenden wir die App ...« oder »... du darfst die Äpfel noch einmal in den Korb legen (im Spiel) und wenn du damit fertig bist, beenden wir die App ...«. Die gleichen Kurzvor- Ende-Warnungen machen auch in themenübersetzter Form in der »Kita Digital« Sinn.

Das sind einfache Beispiele für ein mögliches qualitatives Zeitmanagement, die unsere Kinder leichter verstehen und in dem sie sich selbstbestimmter bewegen können. Das hilft ungemein. Ich glaube daran, dass wir unseren Kindern gar nicht so sehr Medienkompetenz, sondern vielmehr Mediensresilienz, also die Fähigkeit sich von digitalen Medien abzugrenzen, ohne diese grundsätzlich zu negieren, vermitteln sollten.

Fazit

Was am Ende bleibt, ist für mich, dass Kinder und digitale Medien miteinander in Kontakt treten sollten, aber eben zeitlich bemessen, altersadäquat, partizipativ sowie Mehrwert stiftend. Eines bleibt jedoch für mich unbestritten: In den persönlichen Kontakt zwischen Erzieher/in und Kind passt kein Screen.
Dieser Artikel war ein Einblick in die Lebenswelt des 4-jährigen Antons, der gerne am Tablet und mindestens genauso gerne im Wald spielt und der am allerliebsten ohne störendes Smartphone vorgelesen bekommt.

Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus
KiTa aktuell ND 2-2019


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