Wie entstehen ungleiche Bildungschancen?

Und was kann man dagegen tun?

Frühkindliche Bildungsinstitutionen haben die Aufgabe, Bildungsgerechtigkeit zu fördern. Diskriminierung im Alltag soll bestmöglich vermieden werden. Wie dies gelingen kann und wo Fallstricke auf dem Weg zu einer bildungsgerechten Kita liegen können, wird hier beleuchtet.

Fallstricke auf dem Weg zu Bildungsgerechtigkeit

„Bildung ist die mächtigste Waffe, um die Welt zu verändern“ (Mandela) (1). In die frühe Bildung wird viel investiert. Alle Kinder sollen davon profitieren, soziale Ungleichheiten durch gleiche Bildungschancen von Anfang an aus dem Weg geräumt werden. Damit soll interaktionale, strukturelle und institutionelle Diskriminierung im Bildungsbereich eingeschränkt und im besten Fall komplett abgebaut werden. Das Bewusstsein für unterschiedliche Formen von potentieller Diskriminierung in der frühen Bildung kann schon ein erster Schritt sein, diese abzubauen oder ganz zu meiden. Beispiele sollen deutlich machen, was damit gemeint ist:

Interaktionale Diskriminierung
Mit interaktionaler Diskriminierung wird eine Diskriminierung im zwischenmenschlichen Verhalten bezeichnet. Ein Beispiel dafür wäre, wenn das Kopftuch einer Kita-Mutter Bilder im Kopf der anderen erzeugt, die im Zweifel zu einer Ungleichbehand-lung führen, z. B. wenn die Mutter und ihre Kinder nicht in alle Kita-Aktivitäten eingebunden werden oder bestimmte Kompetenzen der Kinder aus dem familiären Hintergrund pauschalisiert abgeleitet werden. Interaktional diskriminierend wäre z. B. auch, wenn ein Kind einem anderen dessen tatsächliche oder vermutliche ethnische oder soziale Herkunft beleidigend vorwirft.

Strukturelle Diskriminieung
Strukturelle Diskriminierung liegt vor, wenn z. B. Familien in benachteiligten Stadtteilen nicht von der gleichen Kita-Qualität und der sozialräumlichen Erreichbarkeit solcher Einrichtungen profitieren können, wie Familien in anderen Stadtteilen. Strukturell diskriminiert werden auch Eltern, die die Angebote der frühkindlichen Bildung aufgrund von Kommunikationsschwierigkeiten oder sehr komplexen und damit erschwerten Zugängen zu Angeboten nicht nutzen (können). Deren Kinder erhalten dann eine schlechtere Ausgangsposition für ihre Bildungsbiographie. Laut Maas und Kollegen (2011) (2) findet institutionelle Diskriminierung z. B. statt, wenn pädagogische Fach- und Lehrkräfte sozial selektiv bei Bildungsübergängen beraten und z. B. Eltern sich gemäß ihrer sozialen Schicht bei der Entscheidung über den Bildungsweg ihrer Kinder mehr oder weniger aktiv einbringen (können).

Diskriminierung im frühkindlichen Bereich kann auf allen Dimensionen ablaufen, die im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) (3) genannt werden. Sie kann auch auf mehreren Dimensionen gleichzeitig auftreten, z. B. wenn ein Kind mit Behinderung in die Kita kommt, dessen Eltern die deutsche Sprache nicht beherrschen und durch einen evtl. weniger gelungenen Austausch mit den pädagogischen Fachkräften die Förderungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft werden. Auch Dimensionen, die nicht explizit im AGG aufgeführt werden, können zu Diskriminierung führen, wenn z. B. ein „Arbeiterkind“ anders bewertet und im Verlauf auch behandelt wird, als ein „Akademikerkind“. Somit stellt der sozioökonomische Status, der die soziale Ungleichheit deutlich macht, faktisch auch ein Diskriminierungsmerkmal dar. (3) Ein Migrationshintergrund kann die Unterschiede in der Bewertung noch vergrößern, wodurch das Kind mehrfach diskriminiert werden kann.

Demnach können zumeist unbewusst ablaufende Prozesse, die mit Vorurteilen und Stereotypen einhergehen, Bildungsgerechtigkeit erschweren, bzw. aktiv oder passiv, implizit oder explizit verhindern. „Lebenssituationen und gruppenbezogene Eigenschaften werden dann zu Diskriminierungsmerkmalen, wenn Menschen aufgrund ihrer benachteiligt werden“ betont die Antidiskriminierungsstelle des Bundes. (4)

Umgangsmöglichkeiten mit den Fallstricken

Fachkräfte sind bemüht, Stereotype und Vorurteile bei Kindern, Familien und in den eigenen Reihen zu enttarnen, zu hinterfragen, abzubauen, dabei neue Handlungsmöglichkeiten zu erschließen und zu erproben. Trotzdem kann es passieren, dass in manchen Situationen unabsichtlich nicht diversitätsbewusst gehandelt wird und daraus Ungleichbehandlung resultiert. Manchmal fehlen einfach Räume für Reflexion, um sich mit diesem weitgreifenden, komplexen Thema tiefergehender und nachhaltig zu beschäftigen. Eine Flut an Praxishilfen – basierend auf unterschiedlichen Programmen – versucht hier Abhilfe zu schaffen. Trotz unterschiedlicher theoretischer Zugänge sind viele Ge-meinsamkeiten hinsichtlich der Umsetzung des übergeordneten Antidiskriminierungsgedankens erkennbar.

Die wertschätzende Anerkennung von und das sensible Bewusstsein für DiversitätDiversität|||||siehe Diversity bzw. Vielfalt ist hierbei der Grundtenor. Die Verständigung bei wahrgenommenen Unterschieden auf der Basis demokratischer Aushandlungsprozesse gilt als erfolgversprechend. Schon kleine Schritte im Alltag können den Weg in eine diskriminierungsärmere und bildungsgerechtere Kita ebnen.

Wertvoll erscheint es, sich z. B. die Zeit zu nehmen, die eigenen fachlichen und persönlichen Vorstellungen von kindlicher Entwicklung, von Familie, von „Normalität“ und des Umgangs in der Kita damit vor Augen zu führen und im Team zu besprechen. Der Austausch mit den Familien öffnet den Blick für mehr Perspektiven bzgl. Vielfalt im Familienalltag. Ein Ansatz kann z. B. sein, bewusster auf den eigenen Sprachgebrauch im Kita-Alltag zu achten. Werde ich der Vielfalt in der Kita nicht gerecht, wenn ich bestimmte Fragen im Morgenkreis stelle? Gebe ich durch meine Aussagen vor, was ich selbst als „normal“ empfinde oder eben nicht? Ein Beispiel: „Man isst mit Messer und Gabel“ klingt harmlos, berücksichtigt aber nicht die Vielfalt von Esskulturen, vor allem, wenn man bedenkt, dass ein Großteil der Weltbevölkerung mit Fingern oder Stäbchen isst. Im Dialog kann deutlich werden, dass Essensvorschriften Konventionen sind und in der Kita eine bestimmte Art zu Essen gelebt wird. Wenn offen und im Dialog mit Vielfalt umgegangen wird, lässt sich Ungleichbehandlung am ehesten vermeiden.


Anmerkungen

(1) Mandela, N. R. (16.07.2003). “Lighting your way to a better future”. Rede gehalten beim Launch of Mindset Network, University of the Witwatersrand, Johannesburg, South Africa. http://db.nelsonmandela.org/speeches/pub_view.asp?pg=item&ItemID=NMS909&txtstr=education%20is%20the%20most%20powerful

(2) Maaz, K., Baumert, J. & Trautwein, U. (2011). Genese sozialer Ungleichheit im institutionellen Kontext der Schule: Wo entsteht und vergrößert sich soziale Ungleichheit? In H. H. Krüger, U. Rabe-Kleberg, R. Kramer & J. Budde (Hrsg.), Bildungsungleichheit revisited. Bildung und soziale Ungleichheit vom Kindergarten bis zur Hochschule (S. 69-102). Wiesbaden: Springer.

(3) Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2006). Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Berlin: Antidiskriminie-rungsstelle des Bundes.
Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2013). Diskriminierung im vorschulischen und schulischen Bereich. Eine sozial- und erziehungswissenschaftliche Bestandsaufnahme. Berlin: Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Zitat S. 17.

(4) Siraj-Blatchford, I. (2004). Soziale Gerechtigkeit und Lernen in der frühen Kindheit. In W. E. Fthenakis & P. Oberhuemer (Hrsg.), Frühpädagogik International. Bildungsqualität im Blickpunkt (S. 57-70). Wiesbaden: VS.



Hinweis:

Dieser Text ist im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung des vom Bundesfamilienministerium geförderten Programms „Kita-Einstieg: Brücken bauen in frühe Bildung“ durch das nifbe entstanden. Er ist ein Teil des digitalen Sammelordners "Kita-Einstieg Wissen kompakt" mit knappen prägnanten Texten zu diesem Themenbereich und einer Einführung zum Hintergrund.

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