Mahlzeiten in der KiTa kultursensitiv gestalten

Was wir essen, welche Hilfsmittel wir dabei verwenden und wie Essenssituationen gestaltet sind, spiegelt kulturelle Überzeugungen, religiöse Regeln und in der Familie gelebte Esskultur wider. Damit sich alle Kinder in der Kindertagesbetreuung wohlfühlen und gut versorgt werden können, müssen diese Esskulturen bekannt sein und respektiert werden.

Essen dient dem Wohlbefinden

Essen ist weit mehr als die reine Befriedigung des Hungergefühls. Es sorgt vielmehr dafür, dass es dem Menschen körperlich und seelisch gut geht und schafft somit die Grundvoraussetzung für Lernen und Entwicklung. Bevorzugte Speisen und vertraute Essensroutinen vermitteln Sicherheit und sind Teil der (kulturellen) Identität. Welche Lebensmittel verwendet werden, wie die Speisen zubereitet werden, ob sie mit Stäbchen, Besteck oder der Hand gegessen werden und ob dabei die ganze Familie gemeinsam auf dem Boden oder am Tisch sitzt oder jeder für sich isst, unterliegt kulturellen Traditionen und Wertvorstellungen.

Esskulturen in Kindertagesbetreuung und Familie

Beim Eintritt in die außerfamiliäre Betreuung sind alle Kinder mit neuen Regeln und unbekannten Speisen oder Essgewohnheiten konfrontiert. Die Herausforderung für die pädagogischen Fachkräfte besteht darin, für die Kinder eine Brücke zwischen der familiären Esskultur und der Kita-Esskultur zu bauen, um allen Kindern genussvolles Essen in der Kita zu ermöglichen. (1) Grundvoraussetzung dafür ist die Kenntnis der familiären Essgewohnheiten. Die Berücksichtigung der folgenden Fragen ist dabei hilfreich:
  • Was isst das Kind (gern)?
  • Wann und wie oft isst das Kind?
  • Mit wem isst das Kind?
  • Isst es selbständig oder wird es gefüttert?
  • Welche Hilfsmittel werden verwendet?
  • Gibt es gesundheitliche oder religiöse Ge- oder Verbote gegenüber bestimmten Lebensmitteln?


Die dreijährige Melia und ihre Erzieherin geraten beim Mittagessen immer wieder aneinander. Trotz wiederholter Aufforderungen hält Melia die Tischregeln nicht ein. Permanent hat sie eine Hand unter dem Tisch und isst nur mit der anderen. Zu Hause hat Melia gelernt, dass die linke Hand beim Essen nicht auf den Tisch gehört, weil sie zur Reinigung nach dem Toilettengang verwendet wird.


Akzeptanz, Respekt und Offenheit

Natürlich müssen religiöse und medizinische Nahrungsvorschriften respektiert werden und das Nahrungsangebot entsprechend angepasst werden. Im Idealfall sollten Inhaltsstoffe für die Kinder und ihre Eltern verständlich dargestellt werden (z. B. mit Tiersymbolen für verschiedenes Fleisch), so dass sie auch selbst auf die Einhaltung religiöser Regeln oder anderer individueller Vorgaben (z. B. Allergien) achten können. Für ein gemeinsames Verständnis von Eltern, Team und Träger über eine gesundheitsförderliche Verpflegung eignet sich beispielsweise der Qualitätsstandard für die Verpflegung in Tageseinrichtungen für Kinder der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V.

Auch sonstigen familiären Essgewohnheiten sollte offen und ohne Bewertung begegnet werden. Diese Akzeptanz bedeutet jedoch keineswegs, dass die jeweiligen Praktiken übernommen werden müssen. Es ist vielmehr wichtig, sich immer wieder bewusst zu machen, dass Verhaltensweisen vor dem jeweiligen kulturellen Hintergrund unterschiedlich interpretiert werden können. Beispielsweise kann das Füttern eines Fünfjährigen als Ausdruck intensiver Mutterliebe und tiefer Verbundenheit zwischen Mutter und Kind (2) oder aber Unterbindung der kindlichen Selbständigkeit gesehen werden. Die gemeinsame Familienmahlzeit zu einer festen Tageszeit hat für einige Familien vielleicht nur deshalb eine so große Bedeutung als soziales Ereignis, weil die Familienmitglieder durch Berufstätigkeit der Eltern und externe Kinderbetreuung tagsüber häufig getrennt sind. (3) In anderen Familien wird der Zusammenhalt möglicherweise bei der gemeinsamen Arbeit während des gesamten Tages erlebt und die Essensgestaltung folgt anderen kulturellen Regeln.

Genauso offen, wie familiäre Gewohnheiten erfragt werden, sollten den Eltern die Essensroutinen in der Kindertagesbetreuung vermittelt werden. Transparenz in diesem Sinne bedeutet zum Beispiel, den Essensplan (möglichst mit Bildern) auszuhängen, aber auch Einblick in die Abläufe und Es-sensgestaltung zu geben und eventuell zu erläutern, welche pädagogischen (z. B. Selbständigkeitsentwicklung) oder auch pragmatischen Gründe (z. B. feste Essenszeiten, um den organisatorischen Ablauf zu gewährleisten) dahinterstecken.

Balance zwischen Vertrautem und Neuem

Insbesondere wenn die Diskrepanz zwischen familiärer und Kita-Esskultur sehr groß ist, ist es wichtig, Anknüpfungspunkte für die Kinder zu schaffen. Wenn die Kinder auch vertraute Praktiken und Speisen erleben, werden sie viel offener sein, Neues auszuprobieren. Die Kita ist daher gefragt, ihre Gewohnheiten zu reflektieren, im Team zu besprechen, inwieweit man flexibel auf die Erfah-rungen der Kinder eingehen kann bzw. kritisch zu hinterfragen, wie kulturell offen die Mahlzeiten in der Kita gestaltet sind. Es reicht nicht aus, beim jährlichen Sommerfest ein interkulturelles Buffet vorzubereiten, sondern jeden Tag müssen die Kinder ihre Esskultur in der Kita wiederfinden bzw. leben dürfen.

Kein Zwang oder Druck

Unvertraute Speisen oder Hilfsmittel sollten den Kindern liebevoll angeboten werden, aber niemand sollte gezwungen werden, etwas zu probieren oder aufzuessen. (4) Sobald die Kinder sich in der neuen Umgebung sicher fühlen, werden sie mit hoher Wahrscheinlichkeit die Neugier für das Essen mit anderen Hilfsmitteln oder neue Geschmackserlebnisse zeigen. Bis dahin sollte nichts dagegenspre-chen, wenn sie auf vertraute Weise essen. Wenn dann auch andere Kinder diese Form des Essens ausprobieren möchten, kann auch das erlaubt werden. Das ist keine Einladung zum Spielen oder Matschen mit dem Essen, sondern eine begleitete kulturelle Erfahrung, die bestimmten Regeln folgt. Hierbei werden die Kinder die Lebensmittel ganz anders in ihrer Konsistenz, ihrem Geruch und ihrem Geschmack wahrnehmen.

Fazit

Auch beim Thema Essen ist die Grundvoraussetzung für kultursensitives Arbeiten der intensive Austausch mit den Familien und die kulturelle Offenheit. Eine aufgeschlossene und wertschätzende Haltung sowie Reflexionsbereitschaft den eigenen Gewohnheiten gegenüber ermöglichen es, eine Esskultur in der Kindertagesbetreuung zu gestalten, die allen Kindern genussvolles Essen erlaubt.


Anmerkungen

(1) Methfessel, B., Höhn, K. & Miltner-Jürgensen, B. (2016). Essen und Ernährungsbildung in der KiTa. Stuttgart: Kohlhammer.

(2) Gonzalez-Mena, J. (2008). DiversityDiversity|||||Im Deutschen wird der Begriff auch auch als Vielfalt benutzt und meint besonders, dass soziale Vielfalt konstruktiv genutzt wird. Im Diversity Management wird besonders auf eine positive Wertschätzung der individuellen Verschiedenheit eingegangen, um eine produktive Gesamtatmosphäre zu erreichen. in Early Care and Education. Honoring Differences (5th Ed.). New York: McGraw-Hill.

(3) Borke, J., Döge, P. & Kärtner, J. (2011). Kulturelle Vielfalt bei Kindern in den ersten drei Lebensjahren – Anfor-derungen an frühpädagogische Fachkräfte.  WiFFWiFF|||||WiFF ist ein Projekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, der Robert Bosch Stiftung und des Deutschen Jugendinstituts e.V. Die drei Partner setzen sich dafür ein, im frühpädagogischen Weiterbildungssystem in Deutschland mehr Transparenz herzustellen, die Qualität der Angebote zu sichern und anschlussfähige Bildungswege zu fördern. Exper-tise, Band 16. München: Deutsches Jugendinstitut e. V. (DJI).

(4) Gutknecht, D. & Höhn, K. (2017). Essen in der Kinderkrippe – achtsame und konkrete Gestaltungsmöglichkei-ten. Freiburg: Herder.



Hinweis:

Dieser Text ist im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung des vom Bundesfamilienministerium geförderten Programms „Kita-Einstieg: Brücken bauen in frühe Bildung“ durch das nifbe entstanden. Er ist ein Teil des digitalen Sammelordners "Kita-Einstieg Wissen kompakt" mit knappen prägnanten Texten zu diesem Themenbereich und einer Einführung zum Hintergrund.

Zum Programm KiTa-Einstieg





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