Vielfalt?!

Ein Interview mit Dr. Meike Sauerhering

Unsere Gesellschaft ist bunt! Dies spiegelt sich auch in den Kitas wieder. Doch wie gehen wir mit dieser Vielfalt um? Was geben wir unseren Kindern mit? Sind wir eigentlich offen für Neues? Warum soll das Thema schon in so jungen Jahren relevant sein? Wir haben bei Dr. Meike Sauerhering nachgefragt - sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Transferzentrum des Niedersächsischen Instituts für frühkindliche Bildung und Entwicklung (nifbe) und Mitautorin des Grundlagenpapiers „Vielfalt leben und erleben!“. Unter dem Motto „Fest auf eigenem Grund stehend offen sein für Neues!“ nähert es sich dem Thema Vielfalt und setzt sich mit dem Umgang mit Vielfalt in Kitas auseinander. Im Interview erklärt sie, was genau sie unter Vielfalt versteht, wieso genau dieser Begriff so passend ist und was Eltern und Fachkräfte tun können, um Kindern einen wertschätzenden Umgang mit Vielfalt zu vermitteln.


  • Inwiefern betrifft das Thema Vielfalt denn schon unsere Kinder?

6 IMG 4816Kinder sind so vielfältig, wie Erwachsene auch. Deshalb kommen sie damit in unterschiedlichsten Varianten in Berührung.

In Kindertageseinrichtungen gibt es Jungen, Mädchen, vielleicht Kinder, die sich schon in dem jungen Alter weder als Junge, noch als Mädchen fühlen. Es gibt Kinder, die mit zwei Vätern zusammen wohnen, mit zwei Müttern oder nur einem Elternteil. Es gibt unterschiedliche Berufsgruppen unter den Eltern, verschiedene Herkunftsländer und vieles mehr.


  • Was genau ist also mit Vielfalt gemeint?
Dabei geht es um ganz unterschiedliche Arten von Vielfalt wie Familienkonstellationen- und kulturen, Herkunftsländer, Armutslagen, um Behinderungen, um sexuelle Orientierung, Religionszugehörigkeiten, um emotionale und soziale Entwicklung, all das, was Menschen in ihrer Besonderheit ausmacht.

Wir haben uns ganz bewusst für den Begriff Vielfalt entschieden und meinen tatsächlich auch einen ganz weiten Vielfaltsbegriff. Dabei ist der „breite Blick“ sehr wichtig, sodass nicht nur „eine Form der Vielfältigkeit“, wie zum Beispiel die Herkunftskultur, angeschaut wird.

  • Nehmen Kinder solche Unterschiede schon wahr?

Ja, bestimmt. ‚Ich und das Andere‘ ist ein Grundphänomen des Menschen. Kinder und Menschen generell entwickeln ihre Ich-Identität in der Auseinandersetzung mit anderen. Wir identifizieren uns in unserer Bezugsgruppe und entdecken, was ‚das Eigene‘ und was ‚das Andere‘ ist. Wir bemerken, was uns bekannt und was uns unbekannt ist, was uns vielleicht zunächst Angst macht oder irritiert. Unterschiede festzustellen ist nicht schlimm. Ein Problem tritt auf, wenn die bemerkten Unterschiede zu Bewertung oder gar zu Abwertungen werden.

  • Werten schon Kinder andere Menschen aufgrund von Unterschieden ab?
Das hat damit zu tun, wie sie es vorgelebt bekommen. Kinder bekommen sehr früh mit, wie erwachsene Bezugspersonen auf ihre Mitmenschen gucken. Dabei spüren sie auch non-verbale Äußerungen und Schwingungen. Sie merken ganz schnell, was als „normal“ gilt. Und das ist abhängig davon, wie sie aufwachsen und davon, was sie tagtäglich sehen, was ihnen vorgelebt wird und wie mit ihnen kommuniziert wird. Sie sind sehr sensibel dafür, Abgrenzung mitzubekommen oder auch mitzutragen wenn Eltern oder Fachkräfte dies tun. Dies gilt auch für die Verwendung von Stereotypen, also bestimmte Eigenschaften oder Vorstellungen von Personengruppen, die Erwachsene ihnen zuschreiben. Kinder erkennen diese oder machen sie sich zu Eigen.

  • Was können Erwachsene somit tun, um Kindern einen wertschätzenden Umgang mit Vielfalt beizubringen?

Zunächst einmal ist es wichtig, sich der eigenen Haltung bewusst zu sein. Nur so können wir uns selbst Neuem gegenüber öffnen und dieses somit auch den Kindern vermitteln.

Natürlich haben wir alle Stereotype im Kopf. Diese brauchen wir auch, um uns die Welt ein stückweit einfacher zu machen. Auch normal ist, dass uns Fremdes zunächst Angst macht, weil es die eigene Überzeugung in Frage stellt. Verunsicherung und auch negative Gefühle sind dabei eine natürliche Reaktion!
Wichtig ist daher eine Auseinandersetzung mit dieser Angst und Verunsicherung und mit den eigenen Normen und Werten und auch zu merken, wo die eigene Grenze hinsichtlich der Auseinandersetzung erreicht ist.

Darüber hinaus ist es wertvoll, sich ein Bewusstsein für die Verwendung solcher Stereotype zu schaffen. Das ist natürlich sehr schwierig, weil uns so etwas dauernd angeboten wird und es unheimlich anstregend ist, sich ständig zu reflektieren und zu schauen: Was sehe ich da eigentlich?

Überall gibt es stereotypische Sichtweisen zu entdecken. Kinder begegnen diesen in Bilderbüchern oder auch auf Darstellungen von Weltkarten. Dort sind dann beispielsweise Afrikaner in Buschhütten lebend abgebildet und in Wirklichkeit hat das wenig mit den Eltern von Kindern zu tun, die vielleicht wirklich aus einem afrikanischen Staat kommen, die sich ja sehr unterscheiden. Wenn bei dem Versuch weltoffen zu sein aber immer diese Stereotype in den Vordergrund gehoben werden, schafft man eigentlich das Gegenteil.

  • Was können Eltern ihren Kindern mitgeben?

Neben der Auseinandersetzung mit den eigenen Normen und Werten ist es wichtig, dass Eltern ihre Kinder darin unterstützen ihre eigenen Gefühle wahrzunehmen. Nur so können auch Gefühle bei anderen wahrgenommen werden.

Außerdem können sie ihren Kindern dazu verhelfen, selbstbewusst zu sein und sich selbst zu mögen. Das Selbstbewusstsein wird gestärkt, indem Kinder Selbstwirksamkeitserfahrungen machen können. Kinder machen Selbstwirksamkeitserfahrungen, wenn ihnen nicht alle Hindernisse aus dem Weg geräumt werden. Wenn sie selbst etwas schaffen, ohne die Hilfe von Mama oder Papa – auch wenn das vielleicht schneller ginge. Etwas „selbst zu schaffen“ hat positive Effekte. Dabei geht es um die kleinen Situationen im Alltag wie alleine die Jacke oder Schuhe anzuziehen genauso, wie auch mal besondere Aktivitäten, wie einen Kuchenteig zuzubereiten und die Zutaten dabei selbst abzumessen und zu mischen oder etwas auseinander oder zusammen zu bauen.

Je selbstsicherer ein Mensch ist, desto weniger hat er es nötig, sich anderen gegenüber aufzuwerten oder andere abzuwerten. Das ist, was wir mit dem „festen Grund“ meinen: Sich selbst mögen als Voraussetzung dafür, andere zu mögen.

  • Was kann besonders in Kitas getan werden?

Hier ist es wichtig, dass Interaktion mit Kindern zum Thema stattfindet. Nicht nur weil Vielfalt „da“ ist, ist man gleich vielfaltssensibel oder sind Kinder von Diskriminierung befreit. Es muss sich bewusst mit Vielfalt auseinander gesetzt werden.

Wenn ich mit Kinder darüber spreche, wer sie sind, kann ich zum Beispiel damit beginnen, dass alle einen Körper haben. Oder es sind alles Kinder. Das haben alle gemeinsam aber alle sehen anders aus. Ausgehend vom Gemeinsamen kann man dann also auf die Unterscheide schauen. So ist das Unterschiedliche nichts negatives, sondern eine besondere Ausprägung des Allgemeinen. Eine weitere Gemeinsamkeit ist, dass alle Kinder in irgendeiner Form von Familie leben oder zumindest familienähnliche soziale Beziehungen haben. Wie die Beziehungen oder sozialen Zusammensetzungen dann aussehen, ist unterschiedlich. Und genau das kann gemeinsam festgestellt werden: Wie lebst du? Wer ist dir wichtig?

Wenn Kinder sich auf diese Weise mit sich auseinandersetzen und lernen, sich zu mögen und sich auch mit anderen zu vergleichen ohne sie abzuwerten oder zu bewerten, dann sind wir einen riesen Schritt weiter in der Vielfalts-Auseinandersetzung.

In Kindertagesstätten ist es außerdem wichtig, dass sich jedes Kind dort wiedergespiegelt finden kann und das in vielfältiger Weise. Es hilft dabei nicht, ein Bilderbuch zu haben, in dem nur ein schwarzes Kind vorkommt. So würde man die Stereotype wieder bedienen. Vielfaltssensibler wäre es hier viele, ganz unterschiedliche schwarze Kinder abzubilden.

Einrichtungen, die sich als offen für Kinder mit Behinderungen zeigen wollen, sollten auf Bildern nicht „das eine Kind im Rollstuhl“ haben, sondern unterschiedliche Kinder in Rollstühlen und Kinder mit ganz unterschiedlichen Beeinträchtigungen. Auch hier sollte also die Vielfältigkeit deutlich gemacht werden. Genauso wie Menschen aus bestimmten Herkunftsländern vielfältig sind. Natürlich kann man hier nicht immer sämtliche Möglichkeiten im Kopf haben. Dass jedoch jedes Kind sich mit seinen Besonderheiten und Lebensformen in der Einrichtung wiederfindet, ist sehr wertvoll.

Ganz besonders für pädagogische Fachkräfte braucht es Raum für Auseinandersetzungen mit dem Thema, es braucht Wissen und Zeit und Akzeptanz für negative Gefühle in der Erstreaktion auf verunsichernde Situationen. So kann man sich diesen stellen und schauen, wie man damit umgehen kann.

Darauf setzen auch wir in unseren Maßnahmen für Fachkräfte.


Wir danken Frau Dr. Sauerhering für das spannende Interview!


Erschienen am 21. Mai 2018, anlässlich des Welttags der Kulturellen Vielfalt der UNESCO in der Teoleo-App; Kostenloser Download unter: www.teoleo.com

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