Wickelsituationen bewusst gestalten

Das Kinaesthetics Infant Handling

Eine hohe Betreuungsqualität drückt sich insbesondere in der Gestaltung von Pflege aus. Für Kinder bis drei spielt gerade die Pflegemaßnahme des Wickelns im pädagogischen Alltag eine große Rolle. Das Konzept des Kinaesthetics Infant Handling kann dazu beitragen, Pflege in der Wickelsituation aus der Perspektive von Bewegung und Berührung heraus bewusst und reflexiv zu gestalten.

In der frühpädagogischen Praxis werden Pflegesituationen aktuell aus Sicht der Fachkräfte häufig noch als belastende und lästige Pflicht empfunden und rein funktional nach Art einer »Fließbandarbeit« vorgenommen. Kinder werden oft in rascher Abfolge nacheinander und möglichst schnell gewickelt, an- und ausgezogen. Ein solches Pflegehandeln nimmt das Kind nicht in den Blick, sondern ist meist rein funktionalistisch an der Zeitökonomie orientiert.

Pflege als gemeinsamen Bewegungsaustausch nutzen

Damit Fachpersonen die sich viele Male am Tag wiederholenden Situationen als Ausgangspunkt für Bildungs- und Entwicklungsprozesse nutzen können, sind sie hier gefordert, mit den Kindern insbesondere auch in einen qualifizierten Bewegungs- und Berührungsdialog einzutreten.

Fachlich geraten hier konkret die Anforderungen in der Assistenz von Bewegungen in den Blick: Wie wird das Kind getragen, gehoben, bewegt? Wie sind die eigenen Bewegungen mit denen des Kindes abgestimmt?

Beim Stichwort »Bewegungsunterstützung «insbesondere aber »Bewegungsentwicklung« wird oftmals in erster Linie an sportliche Aktivitäten mit den Kindern gedacht. Bewegungsentwicklung bei Kindern bis drei vollzieht sich aber in besonderem Maße in den Aktivitäten des Alltags.« Von besonderer Bedeutung ist hier der gleichzeitig-gemeinsame Bewegungs-und Berührungsdialog des Kindes mit der erwachsenen Bezugsperson, denn beim Wickeln, Tragen, An- und Ausziehen bewegen sich zunächst beide miteinander, das Kind und der Erwachsene.

Im medizinisch-therapeutischen Bereich hat sich, um die hierfür notwendigen Kompetenzen der Bezugspersonen zu beschreiben, der Begriff des »Handlings« durchgesetzt. Man versteht darunter die Fähigkeiten von Bezugspersonen, die Bewegungsvollzüge und die Bewegungsumgebung von Kindern zu analysieren und auf dieser Grundlage Bewegungs- und Berührungsantworten im Sinne eines professionellen Antwortverhaltens (Gutknecht, 2011, 2012) zu gestalten. Die Bewegungsantwort der Fachkräfte soll hilfreich sein und die Bewegungsmöglichkeiten des Kindes unterstützen und erweitern. Von besonderer Bedeutung ist dies gerade auch in der inklusiven Krippenpädagogik, wenn kleine Kinder zum Beispiel mit einer Spastik gewickelt werden müssen. In den Blick geraten hier in besonderer Weise die bewegungs- bzw. berührungsbezogenen Aspekte der Interaktionsfähigkeiten von Fachkräften. Ein optimales Handling erfordert einen geschulten Blick für die Positionen, die ein Kind einnimmt, für den Spannungszustand seiner Muskulatur aber auch ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen gegenüber kindlichen Signalen, Weichheit und Zartheit in den Bewegungsantworten.

Die pflegerischen Situationen bieten als seltene Momente der Zweisamkeit im pädagogischen Alltag von Kinderkrippen die Möglichkeit, dass die pädagogische Fachkraft sich auf das einzelne Kind einlässt und es in die gemeinsamen Bewegungsvollzüge aktiv einbezieht.

Ein besonders vielversprechendes Konzept zum Handling ist das aus den USA stammende »Kinaesthetics Infant Handling« (Maietta & Hatch 2004). Es wurde von der Entwicklungspsychologin und Verhaltenskybernetikerin Lenny Maietta und dem Verhaltenskybernetiker und Tänzer Frank Hatch entwickelt. Im medizinisch-pflegerischen Bereich ist das Konzept bereits weit verbreitet, im Rahmen pflegerischer Ausbildungen vielfach bereits Teil der Ausbildungscurricula.

Das Kinaesthetics Infant Handling - mit dem Kind im Bewegungsdialog kooperieren

Die Begründer des Konzepts des Kinaesthetics Infant Handling wollen Bezugspersonen zu einem sensiblen, an die kindlichen Bedürfnisse angepassten Verhalten im Bewegungsaustausch anleiten. Dem Ansatz liegt ein Bild vom Kind als einem kompetenten Wesen zugrunde, das schon äußerst früh in der Lage ist, Interaktionen im Hinblick auf Rhythmus, Geschwindigkeit und Wechselseitigkeit aktiv mitzugestalten (Maietta/Hatch, 2004).

Bezugspersonen sollen mit dem Kinaesthetics Infant Handling dazu befähigt werden, einen qualifizierten Kontakt zum Kind über Berührung und Bewegung herzustellen, auf die Bewegungen des Kindes einzugehen und diese zu unterstützen. Die Vermittlung und Stärkung von Bewegungsfähigkeiten und -ressourcen durch kontinuierliche Reflexion der eigenen Handlungen in Bezug auf Berührung und Bewegung steht im Mittelpunkt. In besonderer Weise kann das Kinaesthetics Infant Handling dazu beitragen, Fachkräfte zu einem rücken- und körperschonenderen Arbeiten anzuleiten, was angesichts der hohen körperlichen Belastungen in der Arbeit in Kitas und Kinderkrippen von wesentlicher Bedeutung ist.

Das Wickeln im Alltag berührungsgelenkt gestalten

Wickelsituationen laufen nicht nur in der frühpädagogischen Praxis häufig nach einem ähnlichen Muster ab, das sich unter kindlichen Bezugspersonen scheinbar als eine Art »Leitbild« des Wickelns festgesetzt hat: Das liegende Kind wird an beiden Beinen mit einer Hand hochgehoben, während die andere Hand zum Säubern des Kindes und zum Wechseln der Windel benutzt wird.

wickeln1Im Konzept des Kinaesthetics Infant Handling wird diese Position metaphorisch als »Truthahnstellung« beschrieben und für ungünstig gehalten. Das Kind kann auf diese Weise nicht an einem gemeinsamen Bewegungsaustausch teilnehmen und keine Anpassungen seiner Körperhaltung vornehmen. Es muss das Wickeln passiv »über sich ergehen lassen«, da es in einer Position gehalten wird, die Eigenbewegungen nahezu ausschließt. In dieser Position wird das Gewicht des Kindes, dessen Körperproportionen ohnehin noch stark »kopflastig« ausgeprägt sind, noch stärker in Richtung des Kopfes verlagert; das gesamte Körpergewicht ruht infolge dieser Stellung auf dem Brust- und Kopfbereich, was zu einer erhöhten Druckbelastung in der oberen Körperhälfte führt.

Aus diesem Grund nehmen Kinder in dieser Stellung mit ihrer Körperspannung oftmals eine Abwehrhaltung ein. Im Hinblick auf Eigenaktivität, Wohlbefinden und einen kooperativen Bewegungsaustausch ist eine solche Gestaltung der Wickelsituation äußerst ungünstig.

Anders sieht die Situation aus, wenn die Fachkraft das Kind in die Bewegungsvollzüge des Wickelns stärker mit einbezieht. Sie kann das Kind etwa durch leichte Berührungsimpulse an Becken und Oberkörper zu seitlichen Drehungen auf die linke und rechte Seite anregen und die Windel somit in Seitenlage wechseln.

Wickeln PanoramaAbbildung 2 zeigt die spiralige Bewegungsausführung, bei der die kindlichen Bewegungsressourcen genutzt werden und die Wickelsituation den Charakter eines kooperativen Bewegungsaustauschs einnimmt. Das Kind bringt eigene Anstrengungen in die Interaktion ein und erfährt in der Folge ein Gefühl von Selbstwirksamkeit und aktiver Beteiligung. Damit ist auch gewährleistet, dass die Aufmerksamkeit des Kindes auf der Interaktion mit der Fachkraft liegt und die Bewegungsvollzüge aufeinander abgestimmt werden können.

Insgesamt erscheint ein solches Handling wesentlich behutsamer und feinfühliger, was den Kindern ermöglicht, den Bewegungsabläufen aufmerksam zu folgen. Die spiraligen Bewegungsvollzüge entsprechen den natürlichen Bewegungsmustern von Kindern, weshalb Kinder durch dieses Handling auch in ihrer motorischen Entwicklung unterstützt und gefördert werden können.

Zugleich wird auf diese Weise auch die Fachkraft körperlich entlastet. Sie muss die Wickelsituation nicht alleine, aus eigener Kraft und womöglich gegen die Anstrengungen des Kindes durchführen, sondern kann mit dem Kind in einen Bewegungsfluss kommen, der sich insbesondere auf Rücken und Oberkörper schonend auswirkt, womit das Kinaesthetics Infant Handling auch gesundheitsfördernde Elemente enthält.

Die alltäglichen Pflegemaßnahmen in Kinderkrippen sind Prozesse, in deren Rahmen Bewegungen zwischen Kind und Fachkraft ausgetauscht werden. Das Kinaesthetics Infant Handling bietet Fachkräften hier eine Unterstützung im Hinblick auf die bewusste Gestaltung dieser Interaktionen.

Das Konzept hat einen tiefgehenden theoretischen Hintergrund und zahlreiche weitere praktische Facetten in den unterschiedlichsten Aktivitäten des täglichen Lebens, weshalb es hier nur auszugsweise dargestellt werden konnte. Für interessierte Fachkräfte kann sich daher der Besuch einer Fortbildung zur Einführung des Kinaesthetics Infant Handling in die Krippenarbeit empfehlen.



KONTAKTZONEN
Achten Sie in der Bewegungsinteraktion mit dem Kind auf die Körperteile, an denen Sie das Kind berühren. Im Kinaesthetics Infant Handling wird insoweit von »Kontaktzonen« gesprochen.
Als positive Kontaktzonen gelten: Arme, Beine, Kopf, Becken, Brustkorb, Schultern
Berührungen an diesen harten, knochenlastigen Körperteilen haben den Vorteil, dass sie die kindliche Bewegungsfreiheit nicht einschränken, sodass das Kind selbst bewegungsfähig bleibt.
Zu vermeiden sind als Kontaktzonen dagegen: Hals, Taille, Achselhöhlen, Leisten
Diese Körperteile sind wesentlich für die kindliche Bewegungsfähigkeit und sollten in der Interaktion möglichst freigehalten werden.



Fazit

Das Kinaesthetics Infant Handling kann wertvolle Anregungen für die Gestaltung von Pflegesituationen bieten und unreflektierten Handlungsroutinen entgegenwirken. Die wechselseitige Bewegungsinteraktion in kooperativen Pflegehandlungen unterstützt die Bewegungsentwicklung der Kinder und die Gesundheitsentwicklung der Erwachsenen.

Literatur

  • Gutknecht, D. (2011). Das Kinaesthetiks Infant Handling nach Maietta und Hatch – Beobachtung und Analyse der Fachkraft-Kind-Bewegungsinteraktion. In: Mischo, Ch./Weltzien, D./Fröhlich-Gildho &, K. (2011). Beobachtungs- und Diagnoseverfahren in der Frühpädagogik. Kronach: Carl Link Verlag. S. 70-78.
  • Gutknecht, D. (2012). Bildung in der Kinderkrippe: Wege zur professionellen Responsivität. Stuttgart: Kohlhammer Verlag.
  • Maietta, L./Hatch, F. (2004). Kinaesthetics Infant Handling. Bern: Huber Verlag.


Video
Asmussen-Clausen, M./Buschmann, U./Maietta, L./ Hatch, F. (2005). Kinästhetik Infant Handling: Bewegungsunterstützung in den ersten Lebensjahren. Flying Kiwi Media.



Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus Kita Aktuell 10/2013, S. 232 - 235 (Ausgabe HRS)


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