Teilhabe und Mitbestimmung von Anfang an

Ein Good Practice-Beispiel

IMG 4238Konzentriert stehen die dreijährige Anna und der knapp zweijährige Jan am Buffet und füllen sich mit einer großen Kelle Buchstabensuppe auf ihren Teller. Vorsichtig gehen sie dann mit dem gefüllten Teller zu ihrem Tisch und essen. So wie die meisten anderen Kinder auch, holen sie sich schon bald Nachschlag, denn die in der hauseigenen Küche gekochte Suppe schmeckt heute mal wieder „richtig gut“. Im Anschluss an das Essen werden die Essensreste ganz selbstständig in einem Eimer entsorgt und Teller und Besteck auf einen Servierwagen gestellt. An der Zubereitung des Essens haben neben der Köchin Ute auch einige Kinder des FRÖBEL-Kindergarten SieKids Ackermäuse in Braunschweig mitgeholfen. Sie haben Gemüse geputzt und mit “echten“ Küchenmessern geschnitten. Jonas hat sich heute dabei geschnitten und wird mit einem Pflaster verarztet. Doch das schmälert nicht den Stolz des kleinen Küchenhelfers.

Partizipation als Hauptpfeiler im Konzept

Partizipation ist einer der drei Hauptpfeiler des pädagogischen Konzeptes der FRÖBEL-KiTa. Und so wird hier auch schon mit den Krippenkindern nach dem Offenen Konzept gearbeitet. Jeden Morgen können sich die Kleinen nach dem noch altersgetrennten Morgenkreis mit gemeinsam gesungenen Liedern entscheiden, was sie heute tun möchten – Theater spielen, Malen im Atelier, Tanzen und Musik machen, Forschen und Entdecken oder doch lieber Freispiel auf dem Außengelände. Mit ihren Morgenkreiskarten treffen sie die Auswahl und auf einer großen Tafel im Foyer ist schon bald zu sehen, welches Kind gerade mit welcher Aktivität beschäftigt ist. „Auch die Kleinen lernen ganz schnell, sich selbst zu entscheiden und den Tag nach ihren Vorstellungen zu gestalten“, sagt Melanie Nolte, stellvertretenden Leiterin des FRÖBEL-Kindergartens in Braunschweig. Für Verlässlichkeit und Orientierung sorgen in diesem offenen Konzept feste BezugserzieherInnen - und auch hier haben die Kleinen ein Mitentscheidungsrecht. Ziel der offenen Pädagogik im FRÖBEL-Kindergarten ist es, die Rechte der Kinder und ihre Teilhabe auf den verschiedensten Ebenen zu stärken und sie zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten zu entwickeln. „In diesem Sinne“, so Melanie Nolte“, verstehen wir die offene Arbeit auch als eine Schule der Demokratie“.

Der FRÖBEL-Kindergarten liegt in Braunschweig hinter dem Bahnhof, angeschmiegt an das Siemens-Betriebsgelände. Es ist ein betriebsnaher Kindergarten und so kommen auch zwei Drittel der Kinder von den Siemens-Beschäftigten, ein Drittel auch aus anderen Braunschweiger Familien. Kinder aus 14 Nationen kommen hier jeden Morgen zusammen und vor kurzem ist auch ein erstes Flüchtlingskind aus Syrien eingetroffen. Passend hierzu wird die Mehrsprachigkeit im FRÖBEL-Kindergarten gezielt gefördert und zum Team gehören auch zwei englische MuttersprachlerInnen, die Englisch immersiv als weitere Sprache in den Alltag integrieren. Neben ihnen gehören weitere 18 SozialassistentInnen, ErzieherInnen, Sozial- und KindheitspädagogInnen zum Team, darunter auch vier Männer. Das Team teilt sich in drei Kleinteams auf, die den drei Altersgruppen Nest (0-1 Jahr), Krippe (1-3 Jahre) und Kindergarten zugeordnet sind. Insgesamt 85 Betreuungsplätze gibt es in der KiTa.

Breite Elternbeteiligung

Gleich im weiten Foyer der SieKids-Ackermäuse werden Kinder und ihre Eltern mit einer großen Plakatwand vielsprachig begrüßt. Davor laden eine Couch, Sessel und Tisch die Eltern zum Beispiel in der – gerade auch für Eltern mit Migrationshintergrund flexibel gestalteten - Eingewöhnungsphase zum Verweilen und Klönen ein. An einer Trennwand präsentieren sich heute gerade die KandidatInnen für den Elternbeirat mit eigenen Wahlplakaten. „Das Engagement unserer Eltern ist sehr groß“, sagt Melanie Nolte „und wir legen sehr großen Wert auf ihre Beteiligung“. Neben den individuellen Entwicklungsgesprächen richten sich daher verschiedene Angebote wie Elternabende, Elterncafés, Eltern-AG oder Singkreise direkt an die Eltern.

IMG 4249Bei den SieKids-Ackermäusen herrscht eine quirlige und doch ganz entspannte Atmosphäre. Im Außengelände, in den Funktionsräumen und auf den Fluren sind die Kinder in kleinen Gruppen oder auch einmal alleine beschäftigt. Die ErzieherInnen begleiten das Geschehen aufmerksam und geben bei Bedarf Impulse, spenden den Kleinsten Nähe und Trost oder schlichten auch einmal Streit. Selbstbewusst gehen die Kinder der FRÖBEL-KiTa auch auf den Besucher zu, fragen nach seinem Namen und beziehen ihn schon bald in ihr Spiel ein. Marie begleitet ihn spontan beim weiteren Rundgang und zeigt stolz ihr Portfolio mit Fotos, Zeichnungen und Beobachtungen von zu Hause und aus ihrem KiTa-Alltag. Bei den SieKids Ackermäusen werden die von Margret Carr in den 1990ern entwickelten Bildungs- und Lerngeschichten zur Dokumentation eingesetzt. „Mit dieser Methode möchten wir“, so Melanie Nolte, „sowohl uns Pädagogische Fachkräfte als auch die Kinder und ihre Eltern für die vielfältigen Lern- und Entwicklungsprozesse und auch die Lernmöglichkeiten sensibilisieren.“ Basis der Bildungs- und Lerngeschichten ist die freie Beobachtung von Aktivitäten eines Kindes im Alltag der KiTa. Bei der anschließenden Auswertung werden im Dialog die Fähigkeiten, Begabungen, Lernstrategien und Themen des Kindes erfasst und in einer Lerngeschichte festgehalten. „Die Lerngeschichten zeigen den Kindern und ihren Eltern, was Kinder im Kindergartenalltag alles erleben und leisten und wie hochtourig sie hier lernen“ resümiert Melanie Nolte.

Stärken, Begabungen und Ressourcen im Fokus

Wie in den Lerngeschichten stehen auch im pädagogischen Gesamtkonzept der KiTa die Stärken, Begabungen und Ressourcen eines jeden Kindes und nicht dessen Defizite im Mittelpunkt. „Stärken stärken, um Schwächen zu schwächen lautet unser Motto“ sagt Melanie Nolte. In einem offenen Konzept mit seinen unterschiedlichen Funktionsräumen und vorbereiteten Settings kann dieser Ansatz besonders gut umgesetzt werden, weil Kinder sich hier entsprechend ihrer Stärken und Vorlieben orientieren können und die intrinsische Motivation von alleine greift. „Wir setzen ganz bewusst Impulse, die an das Wissen und die Begabungen des Kindes anschließen und diese gezielt weiter entwickeln können“ erläutert Melanie Nolte.

Im Rahmen dieses Konzeptes können Kinder auch in unterschiedlichen Bereichen wie dem Atelier oder dem Forscherlabor „Ausweise“ erwerben, die ihren „ExpertInnen-Status“ demonstrieren und sie dort zum selbständigen Arbeiten berechtigen. Zuvor müssen sie das dafür notwendige Wissen und ihre Zuverlässigkeit unter Beweis gestellt haben.

Keinen Expertenausweis benötigen die Kinder allerdings im Theaterraum der FRÖBEL-KiTa. Hier ist in der Impulsphase der Kindheitspädagoge Michael Neydeck zusammen mit Krippen- und Kindergartenkindern tief in die Welt der Phantasie, der Märchen, Geschichten und Rollenspiele eingetaucht. Im Theaterraum gibt es fast alles, was Kinderaugen zum Leuchten bringt: Kostüme, Tücher, Hüte und Accessoires zum Verkleiden, aber auch eine Bilderbuchecke und einen Verkaufsstand. In diesem Raum können die Kinder verschiedenste Rollen einnehmen oder auch nur zuschauen. Heute hat Jannis eine Vorführung auf der beleuchteten Bühne vorbereitet. Auf einer Landschaft aus Tüchern, die die Elemente Feuer, Wasser und Land darstellen, erlebt seine kleine Plastikfigur wilde Abenteuer. Die kleinen ZuschauerInnen verfolgen das Geschehen gebannt, fiebern mit und lachen zwischendurch herzlich.

„Die Kinder besitzen selbst ganz viele Ideen für Geschichten. Wir bieten dafür im Mittagskreis den Rahmen durch einen gleich bleibenden Ablauf: Der Mittagskreis ist freiwillig, die Rollenunterschiede der erzählenden und zuschauenden Kinder sind klar und die Kinder werden vor ihrer Geschichte angeregt, ‚ihre‘ Bühne vorzubereiten. Dann entwickeln sich tolle Geschichten, die wiederum schon ganz oft anderen Kindern Anregungen für ihre Geschichten gegeben haben“, erklärt Michael Neydek.

Entwicklung zu starken Persönlichkeiten

Mitbestimmung der Kinder von Anfang an - dieser Gedanke durchzieht den Alltag der FRÖBEL-KiTa wie ein roter Faden. Es fängt bei der Auswahl ihrer Themen und Aktivitäten in der Impulsphase an und geht über die Entscheidung, wann, was und wie viel sie in einem Zeitfenster zwischen 10:30 und 13:00 Uhr essen möchten und hört beim Thema Wickeln und Schlafen auf. Denn auch hier gibt es keinen Zwang: Schon die Kleinsten können (mit) entscheiden, ob sie mittags schlafen möchten und ob und wann sie gewickelt werden. Im Wickelraum können die Kinder zum Beispiel selbst auf den Wickeltisch krabbeln und so aktiv signalisieren, dass sie bereit zum Windeln wechseln sind. So werden in der FRÖBEL-KiTa von Anfang an die Partizipation und Teilhabe gefördert und die Kinder können sich zu selbstbestimmten Persönlichkeiten entwickeln.

„Mit unserer Mischung aus klarer Tagesstruktur, bewusst gestalteten Prozessen und verbindlich vereinbarten Verantwortlichkeiten bei den MitarbeiterInnen“, so resümiert Kita-Leitung Ulrike Eberhard, „haben wir in den letzten drei Jahren unter Beweis gestellt, dass die offene Arbeit mit Kindern unter 3 Jahren nicht nur möglich, sondern auch förderlich ist und die Krippenkinder sich zu starken Persönlichkeiten entwickeln. Ihre Autonomie, die Selbstwirksamkeit und ihr Selbstbewusstsein können sich optimal entwickeln. Wie so oft in der Literatur zitiert, braucht es dafür Menschen, die selbst offen sind im Geist und im Handeln, eine wertschätzende und respektvolle Haltung und der Blick auf das Können des Einzelnen im Miteinander.“


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