„Mit der richtigen Haltung lassen sich viele Missverständnisse klären“

Interview mit Dr. Franziska Larrá


Dr. Franziska Larrá ist Geschäftsführerin des städtischen Trägers „Elbkinder“ in Hamburg. Als pädagogische Leitung ist sie unter anderem für die Qualitätssicherung und die Entwicklung von Konzepten sowie deren Umsetzung zuständig. Die Elbkinder – Vereinigung Hamburger Kindertagesstätten gGmbH betreut in 183 Kitas täglich rund 25.000 Kinder – darunter auch rund 200 bis 300 Kinder mit Fluchthintergrund. Im Interview berichtet Dr. Franziska Larrá von Herausforderungen bei der Integration von Kindern mit Fluchthintergrund und wie pädagogische Fachkräfte dabei unterstützt werden können.



Wie erhalten Kinder mit Fluchthintergrund Zugang zu den Elbkinder-Kitas?

Integration Frau LarraIn Hamburg gibt es eine Besonderheit, denn die Familien müssen zunächst einen Kita-Gutschein beim Bezirksamt beantragen, bevor sie Zugang zu einem Kita-Platz haben. Da das eine relativ hohe Hürde ist, stellen wir auf unserer Internetseite und in den Kitas Materialen zur Verfügung, die das Vorgehen erklären. Oft unterstützen die Kitas auch bei den Behördengängen und Anträgen.

In den Wohnunterkünften macht die Sozialberatung die Eltern auf ihren Anspruch auf Kindertagesbetreuung aufmerksam und so kommen dann viele Familien zu uns. Die Familien in den Erstaufnahmeeinrichtungen haben keinen Anspruch auf Kinderbetreuung. Trotzdem möchten wir die Familien auch hier unterstützen: Wir suchen die Kooperationen und sind dabei Eltern-Kind-Angebote in den Erstaufnahmeeinrichtungen einzurichten.



Wie können Kitas oder Träger den Zugang für Familien mit Fluchthintergrund erleichtern?

Es ist wichtig, dass die Kitas die Eltern beraten und passendes Informationsmaterial vorliegen haben. In Zusammenarbeit mit der Leitung von Unterkünften oder der Sozialberatung kann auf Kita-Angebote aufmerksam gemacht werden. Kitas können die Familien auch in den Wohnunterkünften aufsuchen und erste Kontakte herstellen. Unsere Eltern-Kind-Zentren, die in der Nähe von Unterkünften liegen, laden zum Beispiel Mütter mit kleineren Kindern zu uns ein. Diese nehmen das Angebot dankbar an, denn in den Eltern-Kind-Zentren können sie sich in einer schönen Atmosphäre austauschen. Durch das Personal vor Ort wird dann auch häufig der erste Kontakt zur Kita hergestellt. So besteht schon eine Beziehung, bevor die Kinder einen Rechtsanspruch auf Kindertagesbetreuung haben. Es gibt noch viele andere Möglichkeiten, wie dieser Kontakt aufgebaut werden kann. Zum Beispiel können Kitas ihre Räumlichkeiten zu bestimmten Zeiten für Kinder aus den Unterkünften zur Verfügung stellen oder Begegnungen zwischen diesen und den Kita-Kindern organisieren. Manchmal erschwert auch der Weg von der Unterkunft in die Kita den Kitabesuch. Einige unserer Kitas haben dann gemeinsam mit ehrenamtlichen Initiativen der Flüchtlingshilfe eine Begleitung organisiert.



Welche Herausforderungen gibt es bei der Integration von Kindern mit Fluchthintergrund?

Die größte Herausforderung ist die Sprache. Es gibt Missverständnisse, weil man nicht richtig erklären kann, wie ein Kita-Tag abläuft oder was „Eingewöhnung“ ist. Wir haben unseren Kitas Dolmetsch-Hilfen zur Verfügung gestellt, manchmal übersetzen auch Erzieherinnen und Erzieher aus den Kitas. Allgemeine Informationen zum Beispiel zur sprachlichen Entwicklung stehen den Kitas im Internet bereits in vielen Sprachen zur Verfügung. Dennoch kommt es natürlich zu Missverständnissen. Das ist besonders wichtig beim Abschluss des Betreuungsvertrags, denn die Eltern wissen sonst nicht, was sie da unterschreiben.  

Neben den Formalitäten müssen wir den Eltern auch unser Erziehungsverständnis erklären. Hier haben die Eltern oft ganz andere Vorstellungen und kennen aus ihren Heimatländern andere pädagogische Institutionen. Wir müssen versuchen, die Perspektive der Eltern einzunehmen, um unser pädagogisches Verständnis richtig erklären zu können. Wenn man die richtige Haltung hat und die Kita eine Willkommens-Stimmung verbreitet, dann lassen sich Missverständnisse meist aufklären.



Wie unterstützen Sie als Träger die pädagogischen Fachkräfte in der Arbeit mit Kindern mit Fluchthintergrund?

Wir beschäftigen uns schon länger mit dem Thema vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung. In einem Inklusionsprojekt geht es nicht nur um andere Kulturen und Migration, sondern um alle Unterschiedlichkeiten, die eine Hürde für die Teilnahme an Bildung oder am sozialen und gesellschaftlichen Leben darstellen. Es geht dabei darum, sich die eigenen Vorurteile bewusst zu machen und zu überlegen, wie wir damit umgehen und wo wir neue Handlungsweisen entwickeln müssen. Das ist natürlich auch sehr gut für den Umgang mit Familien mit Fluchthintergrund geeignet. Gemeinsam mit der Fachstelle Kinderwelten haben wir diesen Ansatz im gesamten Betrieb durch Vorträge, Studientage oder Klausurtagungen bekannt gemacht – bis in die Verwaltung hinein. Viele Kitas sind hier ganz intensiv dabei und durchlaufen mehrjährige Fortbildungen. Auch der Großteil unserer Fachberatungen hat eine Schulung erhalten, sodass die Inhalte auch in die tägliche Beratungspraxis einfließen können.

Zusätzlich verfolgen wir das STEP-Konzept, das auch sehr gut zu unserem pädagogischen Ansatz passt. Es befasst sich mit dem wertschätzenden Umgang miteinander. Hier stellen die einzelnen Kitas ihren Alltag, ihre Haltung und ihr Wording gegenüber Kindern und Eltern auf den Prüfstand – das kommt auch bei den Eltern sehr gut an.



Welche Rolle spielt das Thema Traumatisierung?

Die Kinder sind selten stark traumatisiert. Als Träger ist es daher vor allem unsere Aufgabe, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Angst zu nehmen, bei traumatisierten Kindern etwas falsch zu machen und diesen Kindern zu schaden. Die pädagogischen Fachkräfte brauchen das Trauma nicht zu behandeln. Wenn sie gute pädagogische Arbeit leisten, können sie nichts falsch machen. Zu unseren pädagogischen Rahmenvereinbarungen gehört zum Beispiel, jedes Kind in seiner Würde ernst zu nehmen und den Kindern eine stärkende, fördernde Umgebung für die eigene Entwicklung zu bieten. Wenn die pädagogischen Fachkräfte aufmerksam und sensibel sind, werden sie merken, wann sie eine Situation selbst nicht mehr bewältigen können. Sie können den Kindern und Familien dann entsprechende Hilfen vermitteln. Als Träger haben wir das so organisiert, dass zumindest alle Kita-Leitungen über traumapädagogische Grundlagen informiert wurden, zum Teil auch die pädagogischen Fachkräfte. Alle waren sehr interessiert und haben festgestellt, dass die stärkende Pädagogik, die bei traumatisierten Kindern empfohlen wird, sehr gut zu den eigenen konzeptionellen Vorstellungen passt.



Was können Kitas noch tun, um Menschen mit Fluchthintergrund in den Kita-Alltag zu integrieren?

Unsere Personalabteilung hat die Grundlage dafür geschaffen, dass Personen mit Fluchthintergrund als Praktikantinnen oder Praktikanten eingestellt werden können. Das ist wegen der erforderlichen Unterlagen wie einem Führungszeugnis nicht immer einfach. Wir haben eine Arbeitsgruppe zu diesem Thema eingerichtet, die den Kitas die nötigen Informationen weitergibt und kommuniziert, dass eine Beschäftigung von Praktikantinnen und Praktikanten mit Fluchthintergrund möglich ist. In einer unserer Kitas ist ein junger Mann mit Fluchthintergrund inzwischen eine große Bereicherung.



Weitere Informationen

Internetseite der Elbkinder – Vereinigung Hamburger Kindertagesstätten gGmbH

Informationen zum Konzept der Vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung



Wir haben das Interview mit freundlicher Genehmigung vom Portal
www.fruehe-chancen.de übernommen


Verwandte Themen und Schlagworte