Helene Helming (1888-1977)

Die heute fast vergessene Helene Helmig sorgte nach dem Zweiten Weltkrieg maßgeblich daran mit, dass die in der NS-Zeit verfemte Montessori-PädagogikMontessori-Pädagogik|||||Montessoripädagogik wurde von Maria Montessori ab 1907 als pädagogisches Bildungskonzept vom Kleinkind bis zum jungen Heranwachsenden entwickelt. Leitspruch der Pädagogik ist "Hilf mir es selbst zu tun" und arbeitet mit offenem Unterricht und freien Verfügungsphasen, in dem der Lehrende dazu angehalten ist die Lernprozesse angemessen anzuregen.  in (West-) Deutschland binnen kurzer Zeit wieder zu neuen Ehren kam:

„Sie knüpfte kurz vor deren Tod wieder Kontakte zu Maria Montessori (1952 gestorben; M. B.) und zeichnete federführend für den ersten Montessori-Diplomkurs nach dem faschistischen Terror auf deutschem Boden 1954 verantwortlich. Helming blieb auch im hohen Alter Motor der Montessorianer in Deutschland, der auch verbandspolitisch Akzente setzte. Die wiederbegründete Deutsche-Montessori-Gesellschaft (DMG) erlebte ihre zweite Spaltung nach 1930. Zunächst unter dem Dach der DMG und schließlich in den sechziger Jahren organisatorisch eigenständig war Helming maßgeblich an der Etablierung der 'Montessori-Vereinigung für katholische Erziehung' beteiligt.“ (Holtz 1997, S. 110 f) Sie war bis 1968 deren 1.Vorsitzende (anschließend Ehrenvorsitzende) und bereicherte. außerdem durch zahlreiche Publikationen (siehe Böhm 1999, S. 209 ff.) die Montessori-Literaturlandschaft.

Leben und Wirken


helene 150Helene Helmig (Quelle: Ida-Seele-Archiv)Maria Theodora Helene Helming erblickte am 6. März 1888 als erstes von insgesamt 13 Kindern des Geheimen Medizinalrats Hermann Theodor Helming und seiner Ehefrau Antonia, geb. Berentzen, in Ahaus (Westfalen) das Licht der Welt. Sie war ein kluges und vielseitig begabtes Mädchen, dem die fortschrittlichen Eltern, die fest im katholischen Glauben verwurzelt waren, ein Studium ermöglichten. Nach dem Lehrerinnenexamen (1908) und einer zweijährigen Lehrtätigkeit an der Mädchenschule in Ahaus, studierte Helene Helming noch Englisch und Geschichte an den Universitäten in Münster und Berlin. In letztgenannter Stadt übernahm sie nach dem Studium eine Stelle am Mädchengymnasium der Ursulinen. Ostern 1919 übersiedelte sie nach Köln und unterrichtete am dortigen Lyzeum der Schwestern von armen Kinde Jesu. Nach zwei Jahren wechselte sie als Direktorin an die Aachener Mädchenmittelschule in der Beeckstraße. Hier setzte sie die Bestrebungen der Schulreform in die Praxis um, den Unterricht nicht allein vom Stoff, sondern vom Kinde her zu gestalten. 1923 wurde ihr die Leitung des Fröbel-Seminars der Stadt Aachen übertragen. Neben der Fröbel-Pädagogik interessierte sie sich auch für andere Konzepte der Kleinkindererziehung und kam so in Berührung mit der Montessori-Pädagogik. Um diese näher kennen zu lernen, nahm Helene Helming als Gasthörerin an dem von Clara Grunwald organisierten und von Maria Montessori selbst in den Wintermonaten 1926/27 in Berlin geleiteten Montessori-Kurs teil. Fortan galt ihr Interesse der „neuen Erziehung“.

Begeistert von Berlin zurückgekehrt, initiierte Helene Helming am Aachener Fröbel-Seminar eine Montessori-Kindergruppe, gleichberechtigt neben den in der Fröbel-Tradition stehenden Kindergruppen. Später kam noch eine Montessori-Schule hinzu.

Inzwischen der italienischen Sprache mächtig, fuhr die Schuldirektorin 1930 nach Rom und erwarb das Internationale Montessori-Diplom. Als Schülerin von Maria Montessori wurde sie „in immer wachsendem Maße nicht nur überzeugt von der Notwendigkeit und Einzigartigkeit dieser Pädagogik in Familie, Kinderhaus und Schule, sie sah auch als überzeugte Katholikin, wie katholisch die Vorstellung vom Menschen gerade in dieser Bildungskonzeption ist“ (Familie Helming 2002, S. 117).

1935 wurde Helene Helming ihres Amtes als Schulleiterin des Fröbel-Seminars enthoben. Ihre unerschütterliche christliche Haltung sowie die von ihr vertretene und praktizierte Pädagogik der Freiheit und Selbständigkeit waren den Nazis ein Dorn im Auge. Die 47-jährige kehrte ins Elternhaus zurück und arbeitete am Landratsamt bei der Familienbetreuung von Wehrmachtsangehörigen.

Nach dem Zusammenbruch der Nazi-Diktatur wurde ihr die Direktorenstelle der 1946 neu gegründeten Pädagogischen Akademie in Essen-Kupferdreh übertragen, der die Akademiedirektorin mit den pädagogischen Prinzipien Maria Montessoris eine besondere Prägung gab. 1954 ging Helene Helming in Pension. Sie nutzte die „freie Zeit“ u.a. dazu, „Nordrhein-Westfalen für Jahrzehnte zum Stammland der Montessorianer in der Bundesrepublik Deutschland zu machen“ (Holtz 1997, S. 110). Auf ihre Initiative hin wurden Montessori-Schulen und Kinderhäuser in den Städten Aachen, Düsseldorf und Köln errichtet, in der Mehrzahl katholische. Besondere Hochschätzung erfuhr ihr 1958 veröffentlichtes Buch "Montessori-Pädagogik. Ein moderner Bildungsweg in konkreter Darstellung", in dem die einzelnen Segmente des Erziehungskonzepts Maria Montessoris systematisch und in leicht verständlicher Sprache erläutert werden. Diese Publikation zählt längst zu den Klassikern, was die Interpretation und Darstellung der Montessori-Pädagogik im deutschsprachigen Raum betrifft. Mit ihrem Buch wollte Helene Helming „im Erwachsenen die Bereitschaft wecken, dem Kind Lebenshilfe zu leisten. Wenn in unserer durch Wissenschaft und Technik so erstaunlich aufbauenden Zivilisation nicht der Raum für das Kind freigegeben und bereitet wird, wenn es mitten in der menschlichen Gesellschaft nicht vom verantwortlichen Erwachsenen, sei er Erzieher oder Politiker, liebevoll aufgenommen wird, so kann vom Kind her nicht die notwendige Erneuerung unserer Kultur gesichert bleiben, sondern Dekadenz wir folgen, und der wichtigste Grund dafür wird sein, daß man das Kind als Mitmenschen verrät“ (Helming 1989, S. 10).

Bis ins hohe Alter und in seltener Rüstigkeit stand die Montessori-Pädagogin „zu Kursen, Vorträgen und zur Mitarbeit am ‚Montessori-Werkbrief‘ zur Verfügung“ (Familie Helming 2002, S. 117). Helene Helming war Trägerin hoher kirchlicher und weltlicher Auszeichnungen u.a. des Päpstlichen Ordens "Pro Ecclesia et Pontifice" und des Bundesverdienstkreuzes Erster Klasse. Beide Auszeichnungen wurden ihr am 6. März 1963, anlässlich ihres 75. Geburtstags, verliehen. Sie starb 89-jährig am 5. Juli 1977 in Coesfeld. Heute tragen in Ahaus eine Grundschule und in Düren ein Kindergarten ihren Namen.

Aspekte der Montessori-Pädagogik


Als Helene Helming erstmals mit der Montessori-Pädagogik in Berührung kam, schrieb sie enthusiastisch:

helene 2 250Quelle: Ida-Seele-Archiv„Man wird sich mit dieser Methode auseinandersetzen müssen. Es scheint so, als ob mehr als bisher eine pädagogische Methode europäische Bedeutung gewänne ... Einen deutschen Leser mutet es wundersam an, daß man mit einer solchen Selbstverständlichkeit auf dem Boden des Heute stehen und handelnd zugreifen soll, ohne zunächst alle Probleme zu erörtern! Es mag wohl mit dem romanischen Wesen und mit der Art der Frau zusammenhängen, dass Maria Montessori von ihren Einsichten ausgehend, die auf Wissen und auf Erfahrung beruhen, einfach handelt und nicht weiter grübelt ... Mit Hingebung und Gründlichkeit strebt Frau Montessori danach, dem kleinen Kind und dem heranwachsenden seinen Raum zu geben und dem noch schwachen, vibrierenden Willen zu helfen, damit er zur Würde seiner Freiheit komme. Sie betont immer wieder, daß Freiheit nicht Willkür ist, sondern Ordnung, Beherrschung und Anmut ... Es wird der heutigen Pädagogik viel von Eigenständigkeit und Freiheit, von Persönlichkeits- und Gemeinschaftserziehung gesprochen. Frau Montessori hat darauf hingezeigt, daß die Grundstruktur der Bildungsstätte sich den Zeitumständen gemäß ändern muß, damit der Raum entsteht, darin heute das Kind zu sich selber, zum Gegenstand, zum anderen Menschen kommt“ (Helming 1927, S. 142 ff.).

Ende der 1950er Jahre entfachte sich ein Streit um das Für und Wider den Schulkindergarten. Dabei kritisierte die Fröbelexpertin Erika Hoffmann die "Intellektualisierung des Kinderlebens" durch das Montessori-Material. Dem hielt die Montessori-Pädagogin dagegen:

„Man könnte dieser Auffassung E. Hoffmanns nur wirksam entgegentreten durch eine Darstellung des Lebens im Montessori-Kinderhaus und Montessori-Schule ... Hier sei nochmal darauf hingewiesen, daß Montessori in besonderer Weise der Gefährdung des heutigen Kindes durch ihr Entfaltungsmaterial entgegenwirkt, das dem Kind hilft, Sinne, Bewegung und Geist zu koordinieren und zu einer Polarisation der Aufmerksamkeit zu kommen. Dem nervösen Kind wird zur Beruhigung geholfen, zum Verweilen bei seiner Tätigkeit, es überwindet seine Zerstreutheit, seine Gewöhnung an Sensationen; die normalisierenden Grundtendenzen des Kindes kommen in Bewegung, es gelangt zu einem vollständigen tun... Aus Erika Hoffmanns Arbeit geht hervor, dass sie mit einer gewissen Künstlichkeit für die nicht schulreifen Kinder einen Raum des Spielens und eine Förderung der 'Retardierung' seiner Tätigkeiten und der Verhinderung von schulischen Dingen vertritt. Auch wenn man, so wie Montessori es vorschlägt, mit der Vorbereitung des Schreibens und Lesens und Rechnens bei den größeren Kindern im Kindergarten beginnt, kann man dabei nicht von einer unechten Verfrühung sprechen. Montessori regt die frühe Vorbereitung des Lesens und Schreibens deshalb an, weil in den Jahren der sensiblen Periode des Sprechenlernens das Kind für die Sprache leicht zu interessieren ist, und weil die heutige Umgebung das Kind von selbst darauf aufmerksam macht. Es weiß ferner jeder, dass die meisten 6 Jahre alten Kinder bis zwanzig zählen können und Zahlenbegriffe haben“ (Helming 1959, S. 78).

In ihrem schon erwähnten Standardwerk zur Montessori-Pädagogik räumt sie das altbekannte Vorurteil, Maria Montessori würde das kindliche Spiel grundsätzlich negativ bewerten, aus den Weg. Helene Helming hebt hervor, dass die Merkmale, die dem Spiel bereits schon von Friedrich Fröbel und heute weithin zugeschrieben werden, zahlreiche Schnittstellen und Parallelen zu Maria Montessoris Beschreibung der kindlichen Arbeit aufweist:

helene 3 500Quelle: Ida-Seele-Archiv


„Auch in Montessoris Auffassung vom Leben und Tun des Kindes zeigt sich ein ideologisches Element trotz der Realistik ihrer Pädagogik gegenüber der romantisch-symbolhaften Fröbels. Wenn Fröbel auf das Spiel als Lebensform des Kindes eindringlich hinwies, so überwindet Montessori die Gefahr, daß das Kind sich an ein Bereich der Phantasie und des Spiels verliert und in seinem Wesen eine Spaltung begründet wird, die Spiel und Arbeit zu sehr voneinander trennt... Wenn Montessori schon beim kleinen Kind von ‚Arbeit‘ spricht, so bedeutet das keine Verherrlichung der Nuraktivität, die ein Leerlauf sein würde. Wenn auch Montessoris pädagogischer Realitätsoptimismus bei uns, die wir ihre Forderungen zu verwirklichen suchen, eine Wandlung erfährt, wenn wir auch wissen, es gehört zum Kind auch das Spiel des Als-ob, so müssen wir doch zugeben, daß das Tun des Kindes und des Erwachsenen durch die gleiche Sinnrichtung miteinander verbunden sein müssen und daß Montessori viel geleistet hat, wenn sie uns die Erkenntnis bringt, nicht nur das Spiel muß für das Kind gerettet werden, sondern auch ein ‚lebendiges Tun‘, wodurch das Kind den Weg findet in die Wirklichkeit“ (Helmig1989, S. 79).

Für Helene Helming war die Montessori-Pädagogik in ihrer ganzen Tiefe nur aus dem „Wahrheitselement“ des katholischen Glaubens zu interpretieren und auch zu praktizieren:

„Die Erziehung in der Ordnung des Kinderhauses und das Wecken der Freiheit zeigen sich als gute Voraussetzungen für die religiöse Erziehung, die auf gewohnte, aber in die Ordnung des Glaubens an das Gute in der Natur des Kindes gedeiht. Im Kinderhaus gibt es einen Platz des Gebetes, wo auf das Heilige hinweisenden Dinge Tun und Betrachten der Kinder anregen oder wo ein Kind auch für sich beten kann, wenn etwa das Morgengebet zu Hause vergessen wurde. Die Liebe zu Gott ist mit der Liebe zu seiner Welt und ihren Dingen und Menschen beim Kind glücklich verbunden“ (Helming 1964, S. 480).

Demzufolge bedarf es ihrer Meinung nach einer Niveauhebung des Kindergartens, einer Erweiterung und Vertiefung der Religiosität der Kindergärtnerin, nur dann „wird die religiöse Erziehung im Kindergarten ihre notwendigen Voraussetzungen und gegebenen Ansatzpunkte finden“ (Helming/Wachendorf 1963, S. 9).


Literatur


  • Berger, M.: Frauen in der Geschichte des Kindergartens. Ein Handbuch, Frankfurt 1995, S. 91-95
  • Ders. Helene Helming, in: Bautz, T. (Hrsg.): Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 20, Nordhausen 2002, Sp. 725–730
  • Ders.: Helene Helming (1888-1977). Pionierin der Montessori-Pädagogik, in: Höting, I./Kremer, L./Sodmann, T. (Hrsg.): Westmünsterländische Biografien 1, Vreden/Bredevoort 2015, S. 255-259
  • Böhm, W. (Hrsg.): Maria Montessori-Bibliographie 1896-1996. Internationale Bibliographie der Schriften und der Forschungsliteratur, Bad Heilbrunn 1999, S. 209-213
  • Familie Helming: Helene Helming (1888-1977). Zur Erinnerung an Helene Helming, in: Ludwig, H./Fischer,
  • Ch./Fischer, R. (Hrsg.). Montessori-Pädagogik in Deutschland. Rückblick – Aktualität – Zukunftsperspektiven: 40 Jahre Montessori.-Vereinigung e. V., Münster/Hamburg/London2002, S. 116-117
  • Helming, H.: Die Montessori-Methode, in: Die Schildgenossen 1927/H. 10, S. 141-144
  • Dies..: Das Problem der Schulreife und der Schulkindergärten, in: Kinderheim 1959/H.5, S. 75-80
  • Dies./Wachendorf, M.: Der religionspädagogische Auftrag der Kindergärtnerin, Düsseldorf 1963
  • Dies.: Das Montessori-Kinderhaus, in: Bornemann, E. (Hrsg.): Handbuch der Sozialerziehung. Band II. Praxis der Sozialerziehung im geordneten Feld, Freiburg 1964, S. 477-480
  • Dies.: Montessori-Pädagogik. Ein moderner Bildungsweg in konkreter Darstellung, Freiburg 195/198913)
  • Holtz, A.: Helming, Helene, in: Steenberg, U. (Hrsg.): Handlexikon der Montessori-Pädagogik, Ulm 1997; S. 108-111
  • Stein, B.: Helene Helming - Sorge um den Menschen in unserer Zeit, in: Brehmer. I. (Hrg.): Mütterlichkeit als Profession, Pfaffenweiler 1990, S. 185-196

Weblinks

  • http://www.kindergartenpaedagogik.de/136.html (24.12. 2015)
  • https://de.wikipedia.org/wiki/Helene_Helming (24.12. 2015)





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