Was macht eine gute KiTa aus?

Susanne Viernickel über Personalschlüssel, Umsetzungsdilemma und Spielräume

Vor zehn Jahren wurden in Deutschland die Bildungspläne für Kindertageseinrichtungen verbindlich eingeführt. Was hat sich seitdem geändert? Hat sich die Qualität in den Kitas damit verbessert? Wie sehen die Fachkräfte die Einführung der Pläne? Und welche Konsequenzen brachten diese für den Erzieherberuf mit sich? Wir haben bei der Expertin für Frühpädagogik und Autorin der Expertise "Schlüssel zu guter Bildung, Erziehung und Betreuung" Prof. Susanne Viernickel nachgefragt. 

  • „Was macht eine gute Kita aus?“  Wie lautet Ihre Antwort auf diese Frage?

Susanne Viernickel: Eine gute Kita leistet das, was sie laut Gesetzgeber leisten soll: Sie stellt das Wohlbefinden und die Gesundheit der dort betreuten Kinder sicher, fördert ihre Entwicklung und Bildung und unterstützt die Familien bei der Bewältigung der Balance von Privat- und Berufsleben und in der Erziehung ihrer Kinder. Das klingt einfach, ist aber angesichts der Vielfalt der Persönlichkeiten und Lebenslagen der Kinder und ihrer Familien eine täglich wieder kehrende Herausforderung.
 
  • 2004 wurden die Bildungsprogramme und -pläne für Kitas verbindlich in allen Bundesländern eingeführt. Was hat sich seitdem geändert?

Meiner Meinung nach eine ganze Menge, wobei das Wörtchen „verbindlich“ in den Bundesländern sehr unterschiedlich verstanden wird. Manche Länder arbeiten mit Ausführungsverordnungen oder Qualitätsvereinbarungen, deren Einhaltung oder Nicht-Einhaltung auf finanzielle Konsequenzen hat. Andere setzen auf Selbstverpflichtungen der Verbände, und wieder andere sprechen lediglich Empfehlungen aus.

Trotzdem kann eindeutig festgestellt werden, dass die Bildungsprogramme in der Praxis „angekommen“ sind; fast alle Einrichtungen haben wohl mittlerweile Hinweise und Anregungen aus dem Bildungsprogramm ihres Landes umgesetzt, allerdings in sehr unterschiedlichem Ausmaß und mit ganz unterschiedlichem Qualitätsanspruch. Das Thema „Bildung“ ist in den Einrichtungen weitaus präsenter als vor zehn Jahren.

  • In Ihrer Studie"Schlüssel zu guter Bildung, Erziehung und Betreuung" sprechen Sie von einem „Umsetzungsdilemma“ und bezeichnen damit die Diskrepanz zwischen den in den Bildungsplänen formulierten Idealnormen und der tatsächlichen Situation in den Kitas. Woher rührt dieses Dilemma?

Das Umsetzungsdilemma rührt zu großen Teilen daher, dass die Fachkräfte unter Rahmenbedingungen arbeiten, unter denen sie die Anforderungen der Bildungsprogramme nicht realisieren können. Gruppengrößen und Erzieherin-Kind-Schlüssel sind hier von besonderer Bedeutung. Im Zuge der Einführung der Bildungsprogramme sind zum Teil neue Aufgaben auf die Fachkräfte zugekommen, zum Teil haben bereits bestehende Aufgaben an Bedeutung gewonnen und wurden klarer formuliert – wie die Beobachtung und Dokumentation von kindlichen Interessen, Bildungsthemen und Entwicklungsverläufen. Aber die Personalausstattung und teilweise auch die Qualifikation der Fachkräfte entsprechen den neuen und komplexeren Anforderungen nicht.
 
  • Lässt die pädagogische Qualität in unseren Kitas also zu wünschen übrig? Falls ja, wo sehen Sie die Hauptursache?

Die pädagogische Qualität ist in über 80% unserer Kitas mittelmäßig, das hat ja die NUBBEK-Studie gerade deutlich gezeigt; in jeder zehnten Einrichtung ist sie besorgniserregend schlecht. Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Wir wissen aus zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen, dass Rahmenbedingungen, wie der Erzieher-Kind-Schlüssel und die formale Qualifikation des pädagogischen Personals, die Qualität der pädagogischen Prozesse beeinflussen, aber bei Weitem nicht vollständig bestimmen. Es geht auch darum, dass Teams sich über Kernelemente ihrer pädagogischen Professionalität verständigen und auf dieser Basis ihre Arbeit kontinuierlich reflektieren und weiter entwickeln. Ein solches Selbstverständnis herrscht nicht in allen Einrichtungen vor.

  • Mit den Bildungsplänen wurden Kitas endlich zu Bildungsinstitutionen aufgewertet. Wie müssen nun die Rahmenbedingungen aussehen, damit in den Einrichtungen auch gute Bildungsarbeit geleistet werden kann und somit die Bildungsprogramme in der Praxis umgesetzt werden können?

Zwei Dinge müssen – sowohl bei der Finanzierung als auch bei der Personaleinsatzplanung – berücksichtigt werden. Erstens: Für effektive Bildungsarbeit mit Kindern müssen hinreichend Gelegenheiten für Gespräche und Kommunikation – auch zwischen Fachkräften und einzelnen Kindern -, für Kleingruppenarbeit und für projektförmige Aktivitäten gegeben sein. Das geht nur mit einer angemessenen Fachkraft-Kind-Relation in der direkten pädagogischen Arbeit mit den Kindern. Wissenschaftliche Empfehlungen liegen hier bei einer Relation von 1:4 für die Arbeit mit Kindern in den ersten drei Lebensjahren und bei 1:7,5 für die Arbeit mit Drei- bis Sechsjährigen. Zweitens: die Fachkräfte benötigen ausreichend Zeitkontingente für die so genannte „mittelbare pädagogische Arbeit“, die nicht im direkten Kontakt mit den Kindern erledigt werden kann: Entwicklungsgespräche mit den Eltern, Auswertung von Sprachstandserfassungen, Erarbeitung von Qualitätsstandards im Team, Entwicklungs- und Bildungsdokumentationen und vieles mehr. Realistisch hierfür wären mindestens 20% der wöchentlichen Arbeitszeit.

  • Für die pädagogischen Fachkräfte brachte die Einführung der Bildungspläne auch einen enormen Druck und viele neue Aufgaben mit sich. Wie gehen die Fachkräfte in den Kitas damit um?

Das ist ganz unterschiedlich. Manche Teams gleichen die Anforderungen mit dem ab, was wir den eigenen „pädagogischen Wertekern“ nennen, was sie also selber für wichtig und notwendig halten angesichts der spezifischen Bedarfe und Lebenslagen der Kinder und Familien, die zu ihnen kommen. Sie setzen dann Prioritäten. Andere verfallen in einen Modus des „Abarbeitens“, versuchen, alles zu erfüllen. Diese Teams erleben den Druck besonders stark. Und es gibt auch Teams, die die Bildungsprogramme mehr oder weniger unterlaufen, indem sie die Vorgaben bzw. Vorschläge vordergründig erfüllen, aber eigentlich ihre eingespielten pädagogischen Routinen und Praktiken nicht verändern. Das nimmt etwas den Umsetzungsdruck, erzeugt aber ein anderes Dilemma, was wir Orientierungsdilemma nennen: Die eigenen pädagogischen Orientierungen entsprechen nicht dem, was in den Bildungsprogrammen propagiert und als „gute Qualität“ beschrieben wird. 
 
  • Wie können/müssen Erzieher und Erzieherinnen bei der Bewältigung dieser Aufgaben unterstützt werden?

Grundsätzlich muss der Kita-Bereich besser finanziert werden, damit mehr Personal eingestellt werden kann und die Fachkraft-Kind-Relation sich verbessert. Teams und Fachkräfte sollten für die Arbeit nach den Bildungsprogrammen bei Bedarf Fortbildung, fachliche Beratung und Begleitung erhalten. Teamentwicklung spielt eine zentrale Rolle; Fachberatung und/oder Supervision sind hier entscheidende Qualitätsfaktoren. In Aus- und Weiterbildung müssen Themen wie pädagogische Haltung, Zusammenarbeit mit Familien und Beobachtung und Dokumentation fokussiert werden, ebenso die Leitungsqualifikation. 



Zur Person:
Prof. Dr. Susanne Viernickel ist Hochschullehrerin im Bereich Frühe Kindheit an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin und Mitautorin der Expertise "Schlüssel zu guter Bildung, Erziehung und Betreuung. Bildungsaufgaben, Zeitkontingente und strukturelle Rahmenbedingungen in Kindertageseinrichtungen" (2013), die wir Ihnen unten zum Download anbieten.


Wir haben das Interview mit Susanne Viernickel mit freundlicher Genehmigung vom "Meine Kita Club" übernommen


Tipps zum Weiterlesen:
 

Personalschlüssel

Bildungspläne: Intention - Inhalte - Umsetzung

Qualitätssysteme in KiTas - ein Überblick

Qualitätsmanagement in KiTas - Einführung



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