Sprache wird nicht nur gesprochen

Integrierte Sprachförderung für unter Dreijährige


Das Deutsche Jugendinstitut hat in seinem Projekt „Sprachliche Bildung und Förderung für Kinder unter Drei“ ein Konzept zur alltagsintegrierten sprachlichen Bildung und Begleitung für Kinder unter drei Jahren erarbeitet (Download s. u.). Die Materialien des DJI-Konzepts werden den Schwerpunkt-Kitas des Bundesprojektes „Frühe Chancen“ zur Verfügung gestellt, um die Integration sprachlicher Bildung in den Kitaalltag zu unterstützen. Sie beinhalten u. a. anschauliche Beispiele für die sprachförderliche Gestaltung von Alltagssituationen und Bildungsaktivitäten sowie theoriebasiertes Wissen zur sprachlichen Entwicklung der Jüngsten.


Im Interview beantworten Verena Thanner und Karin Schlipphak, Mitarbeiterinnen des Projekts „Qualifizierungsoffensive Sprachliche Bildung und Förderung für Kinder unter Drei“ am DJI, Fragen aus der Praxis rund um das Thema sprachliche Bildung.


  • Wie kann ich die Umsetzung des DJI-Konzepts zur alltagsintegrierten Sprachbildung in meiner Kita angehen? Wie kann ich vorgehen?

Für die Umsetzung unseres Sprachförderkonzepts empfehlen wir ein schrittweises Vorgehen. Das Konzept besteht im Wesentlichen aus drei Schwerpunktthemen: Alltagssituationen, Interaktion und Spracherwerb. Dementsprechend gibt es drei unterschiedliche Wege, um Zugang zum Konzept zu finden. Der Einstieg kann über verschiedene Situationen erfolgen:

1. Alltagssituationen im Blick: Alltagssituationen auf ihr sprachförderliches Potenzial hin analysieren und reflektieren.

2. Das sprachpädagogische Dialoghandeln im Blick: Dialoghandeln von pädagogischen Fachkräften analysieren und reflektieren.

3. Den Spracherwerbsprozess im Blick: Frühkindliche Spracherwerbsprozesse und -strategien in den fünf Sprachbereichen wahrnehmen und einordnen.

Es ist egal, mit welchem Themenschwerpunkt begonnen wird. Wichtig ist, sich mit der Theorie zu beschäftigen, aber gleichzeitig auch den Umgang mit den jeweiligen Instrumenten und die Reflexion im Team in den Mittelpunkt zu stellen. Erfahrungsgemäß findet jede Kita auf ihre eigene Art und Weise Zugang zum Konzept. Es kommt darauf an, einen Zugang passend zu den Rahmenbedingungen, den Kompetenzen und Ressourcen des Kitateams zu wählen.

  • Warum spielt Videobeobachtung in Ihrem Konzept eine wichtige Rolle? Reicht es nicht aus, wenn ich kindliche Äußerungen aufschreibe?

Auch zu einer Videoanalyse gehört das schriftliche Festhalten der kindlichen Äußerungsformen. Unsere Erfahrungen in der Praxis haben gezeigt: Für die Auswertung von kindlichem Sprachhandeln ist sowohl die Dokumentation per Video als auch die Verschriftlichung der Beobachtung (mithilfe des Dokumentationsbogens) relevant. Die Videobeobachtung verfügt gegenüber dem bloßen Notieren aus dem Gedächtnis über unschätzbare Vorteile: Die Videodokumentation eignet sich besonders gut für Sprachbeobachtungen bei Kindern unter drei Jahren. So kann neben sprachlichen Äußerungen auch das non-verbale Ausdrucksverhalten der Kinder, das für die Interpretation des kindlichen Sprachhandelns von Bedeutung ist, aufgezeichnet werden. Zudem ermöglicht die Videodokumentation eine konkrete Analyse der Situation – denn gerade wenn mehrere Kinder beteiligt sind, kann die Situation leicht unübersichtlich werden. Eine Sequenz kann mehrere Male abgespielt werden. Zum einen können dadurch (komplexe) lautliche Äußerungen identifiziert werden. Zum anderen kann bei jedem weiteren Abspielen auf einen anderen Aspekt geachtet werden (z. B. auf einen anderen Sprachbereich).

  • Wie detailliert sollen die kindlichen Äußerungen notiert werden? Worauf kommt es dabei an?

Der Alltag ist geprägt von gesprochener Sprache, die vom non-verbalen Ausdrucksverhalten begleitet wird. Kinder und Fachkräfte äußern sich in vielen Situationen des Kitaalltags nicht in vollständigen Sätzen und setzen auch ihre mimischen, stimmlichen und gestischen Mittel ein, um ihr Anliegen, ihr Befinden und ihre Bedürfnisse auszudrücken. Daher ist die wort- und lautgetreue Mitschrift kurzer Äußerungen mit Beschreibung des nonverbalen Ausdrucksverhaltens der Kinder und Fachkräfte besonders wichtig. Es geht dabei nicht um umfangreiche Schreibarbeiten, sondern um eine gezielte, kurze Notiz. Für die Auswertung und Interpretation sind neben der Mitschrift auch Stichworte zu Beobachtungsort und -situation sinnvoll. Für die Dokumentation einzelner Kinder sollten weitere Rahmendaten wie Namenskürzel für das Kind sowie Alter und Sprachen des Kindes festgehalten werden. Für Erwachsene ist es eine große Herausforderung, zu dokumentieren, was das Kind tatsächlich gesagt hat. Wir neigen dazu, automatisch eine Interpretation der kindlichen Äußerung mitzudenken. Das bewusste wort- und lautgetreue Festhalten der Äußerung – also tatsächlich das kinder-sprachliche „Bu“ zu notieren statt „Buch“ oder umgangssprachliches „Des“ statt „Das“ – soll dieser vorschnellen Automatisierung entgegenwirken und zu einer sensibleren Wahrnehmung von Kindersprache führen.

  • Immer mehr Kitas und Kindergärten nutzen für ihre sprachliche Bildungsarbeit mit Kindern mit Migrationshintergrund verschiedene Sprachprogramme, im Rahmen derer die Kinder nach Stundenplan aus ihren Gruppen herausgeholt werden. Widerspricht das den Prinzipien des DJI-Konzepts?

Zunächst einmal ja. Denn das DJI-Konzept versteht sich als ein Basiskonzept zur sprachlichen Bildung und Förderung, das nicht eine spezifische Gruppe von Kindern in den Blick nimmt, sondern alle Kinder von null bis drei Jahren. Auf ihrem Weg in die Sprache hinein sollen sie von ihrem ersten Tag in der Einrichtung an kontinuierlich begleitet und unterstützt werden. Sprachliche Bildung und Förderung wird nach dem DJI-Konzept außerdem als Querschnittsaufgabe verstanden, die sich durch den gesamten Kitaalltag, also durch die vielseitigen Alltagssituationen, Angebote und Bildungsaktivitäten, zieht. Mit anderen Worten: Das Konzept zielt darauf ab, Sprache in den alltäglichen Situationen und im Bildungskanon der Kita zu verankern, und damit auf eine allgemeine Erhöhung der sprachlichen Anregungsqualität im Kitaalltag. Ein besonderes Merkmal des DJI-Konzepts liegt darin, dass es u. a. ein umfangreiches und theoretisch fundiertes Wissen zum Spracherwerb bereitstellt und damit pädagogische Fachkräfte für eine differenzierte Wahrnehmung und Beobachtung des kindlichen Sprachverhaltens sowie der Veränderungsprozesse im Spracherwerb sensibilisiert. Mit dem Wissen, wie sich Kinder die Sprache aneignen, welche Strategien sie dabei anwenden und welche Bedeutung die Sprache für ihr geistiges und soziales Handeln hat, können Fachkräfte die Entwicklungsmöglichkeiten im Alltag erkennen und für die sprachliche Bildung als Querschnittsaufgabe ihrer pädagogischen Arbeit nutzen. Gleichzeitig ermöglicht dieses Wissen aber auch, andere Sprachförderkonzepte und -programme gezielt und im Einklang mit dem pädagogischen Konzept der Kita einzusetzen. Ein Programm z. B., das den sprachlichen Teilbereich phonologische Bewusstheit zum Inhalt hat, eignet sich ja nicht unbedingt für die Wortschatzerweiterung. Und noch weniger für Kinder im Krippenalter. Kurzum: Egal, für welches Konzept oder Programm sich eine Kita entscheidet, wichtig ist, dass dieses an den Fähigkeiten, Voraussetzungen und Bedürfnissen der Kinder ansetzt. Das gilt für alle Kinder, ob mit oder ohne Migrationshintergrund


Mit freundlicher Genehmigung von "Frühe Chancen"





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