Was verdienen ErzieherInnen?

Jutta Allmendinger im Interview mit Hilde von Balluseck


Zum Hintergrund:

  • 2012 arbeiteten in Tageseinrichtungen für Kinder 323.635 ausgebildete ErzieherInnen und 55.536 KinderpflegerInnen. Von den ErzieherInnen waren 96,98 %  Frauen, von den KinderpflegerInnen waren es 98,48 %. Insgesamt beträgt der Frauenanteil bei diesen beiden Berufsgruppen 97,20 % (Statistisches Bundesamt 2012, Tab. 12 und eig. Berechnung). Wenn wir über die Gehälter in diesen Berufsgruppen sprechen, dann sprechen wir also in erster Linie über die Einkommen von Frauen.

  • Aus den Entgelttabellen des TVöDTVöD|||||Der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst umfasst mehrere Tarifverträge für Beschäftigte bei Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung. Seit Oktober 2005 gilt in jedem TVöD eine einheitliche Entgelttabelle für alle ArbeiterInnen, Angestellte und Pflegebeschäftigte . Diese besteht aus 15 Entgeltgruppen sowie 2 Grundstufen und 4 Entwicklungsstufen. In der Regel erfolgt ein Aufstieg in eine höhere Gruppe nach der Dauer der Berufserfahrung beim gleichen Arbeitgebenden.  -VKA für den Sozial- und Erziehungsdienst gehen folgende Zahlen hervor: Ab 1. August 2013 erhält eine Erzieherin beim Berufseinstieg 2221,21 (Entgeltgruppe S 6, Stufe 1). Nach vier Jahren erhält sie 2.613,20 €. Ohne Aufstieg erhält sie in der letzten Stufe (S 6) 3.118,42 €. Als Leiterin einer Kita mit 130 und mehr Plätzen erhält sie im ersten Jahr 2863,63 €, nach vier Jahren 3.408,04 €,  in der letzten Stufe (S 6)  4.224,67 €. Eine Kinderpflegerin erhält als Anfängerin 1905,46 €, nach vier Jahren 2.268,54 €, in der letzten Stufe 2.526,10 € (Tarifvertrag Öffentlicher Dienst und GEW 2011).




Im Interview mit Prof. Jutta Allmendinger, der Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, hinterfragt Hilde von Balluseck (erzieherin.de) die von vielen verschiedenen Faktoren abhängige Einkommenssituation von ErzieherInnen und ihre Bedrohung durch Armut im Alter.

 
  • Frau Allmendinger, Sie gehören zu den Frauen in dieser Republik, die sich engagiert für eine Gleichstellung von Frauen und Männern einsetzen. Wie hoch ist das Gefälle zwischen Männer- und Frauengehältern derzeit im Durchschnitt?

allmendinger 7119 3 0 150Prof. Dr. Allmendiger (Foto: David Ausserhofer)Erlauben Sie mir nachzufragen: Was meinen Sie mit Gehalt? Den Stundenlohn? Den Monatslohn? Das Lebenseinkommen? Die Antwort fällt jeweils verschieden aus. Beim Stundengehalt liegen die Unterschiede zwischen 2 und 22 Prozent, je nachdem wie viele Einflussgrößen wir im Auge haben und kontrollieren. Üblicherweise schauen wir auf die Arbeitszeit, die Berufserfahrung, die Bildung und Ausbildung, die Betriebsgröße und das Alter von Männern und Frauen. Diese Größen halten wir  ‚konstant’ und berechnen dann den Einkommensunterschied. Wir tun also so, als ob Frauen und Männer den gleichen Erwerbsverlauf haben. Das geht natürlich an der Wirklichkeit vorbei. Frauen arbeiten häufiger Teilzeit, unterbrechen ihre Erwerbstätigkeit, sind in anderen Berufen und kleineren Betrieben beschäftigt. Und dennoch: mit diesem ‚gender wage gap’ bekommen wir einen Hinweis darauf, was Frauen verdienen würden, wenn sie männliche Erwerbsverläufe hätten. Man könnte dies auch als eine direktere Diskriminierung von Frauen bezeichnen.
Wenn ich nun allerdings den Monatslohn oder gar das Lebenseinkommen von Männern und Frauen vergleiche, so liegen die Unterschiede natürlich wesentlich höher.

  • Ich habe oben einige Gehälter für Erzieherinnen und Kinderpflegerinnen aufgeführt. In der GEW-Analyse der familiären und beruflichen Situation von ErzieherInnen (Fuchs-Rechlin 2010: 3) heißt es, dass sie bei Vollzeiterwerbstätigkeit ihren Lebensunterhalt allein bestreiten können und damit besser gestellt sind als der Durchschnitt erwerbstätiger Frauen. Ist das richtig?

Nein. Hier werden Äpfel mit Birnen verglichen. Bei den Erzieherinnen betrachtet man nur vollzeiterwerbstätige Frauen, in den Durchschnitt aller erwerbstätigen Frauen gehen aber auch nicht Vollzeit erwerbstätige Frauen mit ein. Das sind immerhin 45,6 Prozent aller erwerbstätigen Frauen.  Durch diesen hohen Teilzeitanteil wird der Gesamtdurchschnitt gedrückt. Bei diesem statistischen Kniff wundert mich dann nicht, dass das Einkommen von Erzieherinnen höher liegt.
Erlauben Sie mir einen weiteren Einwurf. Bei den Erzieherinnen liegt der Anteil nicht Vollzeit beschäftigter Frauen bei 60 Prozent. Die Teilzeitquote von Erzieherinnen liegt damit noch einmal deutlich über der Teilzeitquote von Frauen in Deutschland insgesamt (45,6%).

  • ErzieherInnen und KinderpflegerInnen haben höchst anspruchsvolle Berufe. Wie schätzen Sie die Gehälter der ErzieherInnen und KinderpflegerInnen im Vergleich zur Entlohnung  anderer Berufsgruppen ein?

Erzieherinnen mit 10 Jahren Berufserfahrungen verdienen auf einer Vollzeitstelle (38h/Woche) und mittlerer Betriebsgröße in Westdeutschland durchschnittlich 2.394€ brutto. Unter gleichen Bedingungen bekommen Sozialarbeiterinnen 399€ und Lehrerinnen sogar 1.345€ mehr Gehalt.

  • Wie sieht angesichts der oben erwähnten Gehaltsstrukturen die Rentensituation bei ErzieherInnen und KinderpflegerInnen aus, wenn sie bis zum Ende ihres Arbeitslebens vollzeiterwerbstätig sind?

Die durchschnittliche Rente lässt sich nicht so einfach beziffern, da sie von vielen Faktoren abhängt. Der Dauer der Erwerbstätigkeit, der Arbeitszeit, der Anzahl von Kindern, der privaten Vorsorge. Auch  abgeleitete Rentenzahlungen in Form von Witwenrenten spielen eine Rolle. Gützow (2013) kommt zu dem Ergebnis, dass wenn eine Erzieherin insgesamt 38 Jahre ohne Unterbrechung Vollzeit erwerbstätig war, und zuletzt ein Bruttomonatsgehalt von 2.500 € erhalten hat, ihre Rente bei rund 876 Euro liegt. Dem von Ihnen gerade zitierten Text von Fuchs-Rechlin (2010) lässt sich darüber hinaus entnehmen, dass das durchschnittliche Rentenalter bei den Personen mit einer frühpädagogischen Ausbildung, ebenso wie bei allen Erwerbstätigen, bei 59 Jahren liegt (Fuchs-Rechlin 2010: 45).

  • Mehr als die Hälfte aller Fachkräfte aus den beiden Berufsgruppen arbeiten nicht Vollzeit. 19,3 % der ErzieherInnen und KinderpflegerInnen, also fast ein Fünftel arbeiten weniger als 21 Stunden die Woche (Fuchs-Rechlin 2010: 10). Es ist nicht immer der Träger, der die Vollzeiterwerbstätigkeit verhindert, es sind auch die Wünsche der Frauen, denn der Beruf ist sehr anstrengend (vgl. Kita.de 2012). Wie beurteilen Sie die Teilzeittätigkeit, insbesondere im Hinblick auf die Alterssicherung?

Natürlich ist der Beruf sehr anstrengend. Aber auch ErzieherInnen scheitern oft selbst an der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Es finden sich kaum Einrichtungen, die mit den eigenen Arbeitszeiten vereinbar sind. Im Kindergartenalter könnte das noch gehen, aber was macht man, wenn die Kinder in die Schule kommen und den Nachmittag allein im Haus verbringen? So einfach ist eine Vollzeiterwerbstätigkeit nicht zu organisieren, auch wenn man sie eigentlich möchte.
Bei der Alterssicherung sind Phasen der Teilzeiterwerbstätigkeit leistungsmindernd. Auch deshalb können viele Erzieherinnen von ihren Altersbezügen nicht leben. Politisch und tarifvertraglich sollte man zumindest allen Frauen und Männern die Möglichkeit geben, nach einer Erwerbsunterbrechung oder nach einer Reduktion der Arbeitszeit wieder in Vollzeit zu kommen. Wobei ich Vollzeit niedriger ansetzen würde, als das heute geschieht.

  • 2008 waren 9,4 % aller ErzieherInnen (inklusive Männer) alleinerziehend, von den KinderpflegerInnen waren es 14,6 % (Fuchs-Rechlin 2010: 8). Vermutlich stellt sich die materielle Situation der alleinerziehenden ErzieherInnen und KinderpflegerInnen ähnlich dar wie für den Durchschnitt der Alleinerziehenden. Wie wirkt sich dieser Status auf das Einkommen aus?

Für Alleinerziehende ist es ganz besonders hart, alles auf die Reihe zu bekommen. Sie können sich ja nur in seltenen Fällen mit anderen abwechseln, Aufgaben teilen. Sie haben meist gar keine andere Wahl, als viele Jahre lang Teilzeit erwerbstätig zu sein. Die Haushaltsbedarfe werden dann aber selten gedeckt, einige werden zu AufstockerInnen, die ihr Gehalt mit sozialstaatlichen Transfers ergänzen müssen.
 

  • Bei den Fachkräften, die Teilzeit arbeiten, handelt es sich im höheren Maße um Fachkräfte, die in der Paarfamilie leben, während Alleinerziehende zu einem größeren Anteil Vollzeit arbeiten. Kann man sagen, dass die Ehe immer noch eine gute Absicherung bei Teilzeiterwerbstätigkeit ist?

Es ist richtig, dass Fachkräfte, die in Paarfamilien leben, länger teilzeitbeschäftigt sind als Alleinerziehende. Und so lange sich das nicht ändert, können sie sich das auch gut leisten. Zum Problem kommt es dann, wenn die Ehe scheitert. Denn drei Jahre nach der Trennung sind Frauen auf ihr eigenes Einkommen angewiesen. Genau deswegen plädiere ich so stark für die Möglichkeit, aus Teilzeit auch wieder herauszukommen.

  • Aber was ist, wenn teilzeitbeschäftigte frühpädagogische Fachkräfte keinen gut verdienenden Ehemann haben? Wie sieht dann ihre Rentensituation aus?

Viele von ihnen bekommen eine Rente unterhalb der Mindestbedarfe und müssen aufgestockt werden. Es sei denn, sie haben weitere Ansprüche aufgrund privater Absicherungen. Dazu kann ich nur raten, auch wenn es manchmal sehr hart ist, das Geld zurückzulegen.

  • Es gab kürzlich einen großen Hype zur Frauenquote in Aufsichtsräten. Wie beurteilen Sie die Auswirkungen einer solchen Frauenquote auf eine Berufsgruppe wie die der Erzieherin?  Bei diesem Beruf werden ja von Ministerin Schröder Millionen investiert, um den Männeranteil zu erhöhen (vgl. Koordinationsstelle Männer in Kitas).

Ich bin eine Befürworterin der Frauenquote, weil mehr Frauen in Führungspositionen zu einem Wandel unserer Kultur und unserer Arbeitswelt beitragen werden. Wichtig ist mir eine Anschubquotierung, da eine oder zwei Frauen in Führung keinen großen Unterschied machen werden. Auch die Frage „Männer in Erziehungsberufe“ geht in Richtung eines kulturellen Wandels. Bremsend wirken hier das im Vergleich zu Männerberufen doch niedrige Gehalt und die geringe Einkommensentwicklung im Erwerbsverlauf. Auch der hohe Anteil von Teilzeit ist nicht Teil der männlichen Arbeitskultur.  Sicherlich könnte man den Anteil von Männern in diesen Berufen auch steigern, wenn wir eine höhere Akademisierung des Berufsstands erreichen. Kürzlich empfahl der Wissenschaftsrat einen Anteil von 20 Prozent. Im Vergleich zu anderen Ländern ist das nicht viel. Aber es wäre immerhin ein Anfang. Misslich ist allerdings, dass der Zivildienst abgeschafft wurde. Das war eine gute Möglichkeit, Männern dieses Berufsfeld näher zu bringen. 

 

  • Herzlichen Dank für das Gespräch!

  Das Gespräch führte Hilde von Balluseck

Übernahme mit freundlicher Genehmigung von erzieherin.de


 

Quellen:

(1)    Fuchs-Rechlin, Kirsten (2010): Die berufliche, familiäre und ökonomische Situation von Erzieherinnen und Kinderpflegerinnen. Sonderauswertung des Mikrozensus. Im Auftrag der Max-Traeger-Stiftung der GEW. Frankfurt a.M. Download unter http://www.gew.de/Binaries/Binary71323/WEB%20Mikrozensus.pdf

(2)    GEW (Hrsg., 2011)): Das kleine ABC für den Sozial- und Erziehungsdienst, 2. Auflage, Frankfurt a.M. Download unter http://www.gew.de/Binaries/Binary55579/
ABCSozial_u_Erziehung_Inhalt_2011_K3_RZ_web.pdf

(3)    Gützow, Frauke (2013): Rente - Bilanz des Lebensverlaufs. Zur Altersarmut von Frauen. DDS März 2013, S. 13-14.

(4)    Kita.de: Fachkräftemangel in der Kita verschärft sich weiter.  19.7.2012 http://www.kita.de/news/fachkraftemangel-in-den-kitas-verscharft-sich-weiter

(5)    Koordinationsstelle Männer in Kitas. Projekt und Website gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Download unter http://www.koordination-maennerinkitas.de/

(6)    Statistisches Bundesamt (2012: Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe. Kinder und tätige Personen in Tageseinrichtungen und in öffentlich geförderter Kindertagespflege am 1.03.2012. Download unter https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Soziales/KinderJugendhilfe/
TageseinrichtungenKindertagespflegeKindertagespflege|||||Kindertagespflege oder Tagespflege umfasst eine zeitweilige Betreuung von Jungen und Mädchen bei Tagesmüttern oder Tagesvätern. Nach dem Tagesbetreuungsausbaugesetz von 2004 ist die Tagespflege neben der Tagesbetreuung in Kindertageseinrichtungen eine gleichwertige Form der Kindertagesbetreuung. 5225402127004.pdf?__blob=publicationFile

(7)    Tarifvertrag Öffentlicher Dienst: Entgelttabellen TVöD-VKA für den Sozial- und Erziehungsdienst (Kommunen). Gültig ab 1. März 2012, ab 1. Januar 2013 und ab 1. August 2013. Herausgegeben von der GEW. Download unter http://www.gew.de/Binaries/Binary90106/Entgelttabellen_SuE_2012.pdf

 

Zur Person:

Jutta Allmendinger ist seit 2007 Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung und Professorin für Bildungssoziologie und Arbeitsmarktforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie seit 2012 Honorarprofessorin für Soziologie an der Freien Universität Berlin. Sie studierte Sozialwissenschaften in Mannheim und an der University of Madison, Wisconsin und promovierte 1989 an der Harvard University. 1993 habilitierte sie sich an der Freien Universität Berlin. Zwischen 1988 und 1992 war sie am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und an der Harvard Business School tätig. 1992 bis 2007 war Jutta Allmendinger Professorin für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und leitete von 2003 bis 2007 das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit. Sie war Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (1999-2002) und ist Mitglied zahlreicher Akademien, Gremien und Beiräte, darunter die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften und die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina. 2009 wurde sie mit dem „Communicator Preis – Wissenschaftspreis des Stifterverbandes“ ausgezeichnet, 2011 mit dem Verdienstorden des Landes Berlin und 2013 mit dem Schader-Preis der Schader Stiftung. Jutta Allmendinger ist Autorin zahlreicher Bücher, darunter „Frauen auf dem Sprung. Wie junge Frauen heute leben wollen“ (2009), „Verschenkte Potenziale? Lebensverläufe nicht erwerbstätiger Frauen“ (2010) und „Schulaufgaben. Wie wir das Bildungssystem verändern müssen, um unseren Kindern gerecht zu werden“ (2012).

 



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