Sprachstandstests: Kriterienkatalog

Bundesweit 17 verschiedene Sprachstandstests erschweren die einheitliche Diagnostik von Sprachförderbedarf und führen zu ungleichen Chancen von Kindern auf Bildung. Um dem entgegen zu wirken, hat auf Initiative des Mercator-Instituts für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache eine interdisziplinärinterdisziplinär|||||Unter Interdisziplinarität versteht man das Zusammenwirken von verschiedenen Fachdisziplinen. Dies kann auch als „fächerübergreifende Arbeitsweise“ verstanden werden, z.B wenn Psychologen, KinderärztInnen, ErzieherInnen und Lehrende zusammen an einer Fragestellung arbeiten.e Expertenkommission deutschlandweit erstmals einen Kriterienkatalog für Sprachstandsverfahren im Elementarbereich entwickelt. Erste Analysen zeigen, dass ein großer Teil der Verfahren die Qualitätsmerkmale nicht ausreichend erfüllt.

Um allen Kindern optimale Startchancen in die Schullaufbahn zu ermöglichen, müssen Kinder mit Sprachförderbedarf möglichst frühzeitig bedarfsgerecht unterstützt werden. Alarmiert durch die PISA-StudiePISA-Studie||||| In der PISA- Studie der OECD werden alle drei Jahre seit 2000 in den Mitgliedsstaaten der OECD die alltags- und berufsrelevanten Fähigkeiten von 15- Jährigen durch Testfragen gemessen. Die mittelmäßigen bis schlechten Ergebnisse 2001 in Deutschland führten dazu, dass vielfach von einem PISA-Schock geredet wurde.  n und die damit verbundene Debatte um die Bildungsbenachteiligung von Kindern mit Migrationshintergrund haben daher 14 Bundesländer zwischen 2002 und 2008 Verfahren eingeführt, um den sprachlichen Entwicklungsstand der vier- bis fünfjährigen Kinder festzustellen und angemessene Sprachfördermaßnahmen noch vor dem Schuleintritt zu ermöglichen. Die angewendeten Testverfahren variieren jedoch stark: Bundesweit sind derzeit 17 verschiedene Diagnoseinstrumente im Einsatz, die Förderquote schwankt je nach Bundesland zwischen zehn und 50 Prozent. Bund und Länder haben bereits mehrfach angekündigt, einheitliche Standards für Sprachstandstests zu entwickeln – Ergebnisse stehen weiterhin aus.

Um diese Lücke zu schließen, hat das Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache eine Expertenkommission initiiert, die erstmals einheitliche Qualitätsmerkmale für Sprachstandsverfahren im Elementarbereich entwickelt hat. Der Bewertungsrahmen definiert, welche Kriterien gelten sollten, um den Sprachstand jedes Kindes sowohl vergleichbar als auch wissenschaftlich fundiert zu ermitteln. „Sprachstandsverfahren müssen so angelegt sein, dass sie jedem Kind, unabhängig vom Wohnort oder der Familiensprache, eine bedarfsgerechte Sprachförderung ermöglichen. Mit diesem Kriterienkatalog wollen wir einen Anreiz schaffen, aber auch die Länder gezielt dabei unterstützen, ihre Verfahren unter die Lupe zu nehmen“, erklärt Prof. Dr. Michael Becker-Mrotzek, Direktor des Mercator-Instituts für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache.


Qualitätsmerkmale für zehn Handlungsfelder

Die Expertenkommission hat Qualitätsmerkmale für zehn Handlungsfelder entwickelt. Für jedes Merkmal ist eindeutig definiert, ab wann ein Sprachstandsverfahren das Merkmal ausreichend, gut oder sehr gut erfüllt. Für das Handlungsfeld Mehrsprachigkeit beispielsweise ist ein Verfahren dann ausreichend, wenn u. a. die Erstsprache des Kindes erfasst wird, die Kontaktmonate mit der Zweitsprache und die Einschätzung der Eltern, wie das Kind Erst- und Zweitsprache spricht bzw. kombiniert. Prof. Dr. Petra Stanat, Direktorin des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) und Mitglied der Expertenkommission: „Kindern, die Deutsch als Zweitsprache lernen, fehlt häufig Lernzeit in der Sprache Deutsch, weil zu Hause eine andere Sprache gesprochen wird oder sie später in die Kita kommen. Dies bedeutet aber nicht, dass alle Kinder aus zugewanderten Familien einen Sprachförderbedarf haben - und anders herum haben natürlich auch viele Kinder, die zu Hause Deutsch sprechen, besonderen Förderbedarf. Diagnostische Verfahren müssen also alle Kinder in den Blick nehmen und dabei mögliche sprachliche Besonderheiten, die zum Beispiel mit Mehrsprachigkeit verbunden sein können, berücksichtigen.“

Neben dem Handlungsfeld Mehrsprachigkeit umfassen die Qualitätsmerkmale auch, welche Qualifizierung der pädagogischen Fachkräfte für die Durchführung der Tests notwendig ist und ob bzw. inwiefern sich die Verfahren praktikabel im pädagogischen Alltag umsetzen lassen. Außerdem müssen die Verfahren auf einem fundierten theoretischen Konstrukt basieren, das in sinnvolle Fragen und Aufgaben übersetzt wird. Becker-Mrotzek: „Für einige Verfahren muss man zunächst klären, ob sie überhaupt den Sprachstand messen oder vollkommen andere Bereiche der kindlichen Entwicklung. Wenn die Aufgabe lautet ,Erkläre mir, wie man einen Schneemann baut’, wird damit nicht nur den Sprachstand, sondern auch das kulturelle Wissen des Kindes abgefragt. Wenn das Kind eine Einwanderungsbiografie hat, wird es diese Frage vielleicht nicht so gut beantworten können, wie ein Kind, das in einer deutschen Familie aufwächst. Das aus dieser Testfrage ermittelte Ergebnis wird damit verzerrt.“

Einheitliche Definition von Sprachförderbedarf notwendig

Für die Umsetzung einheitlicher Standards für Sprachstandstests empfiehlt die Expertenkommission, ein interdisziplinäres Gremium einzurichten, in dem neben Vertretern unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen auch Akteure aus den Bildungseinrichtungen, der zuständigen Ministerien und der Testentwicklung vertreten sind. Dieses Gremium sollte Handlungsempfehlungen erarbeiten, auf deren Basis die Bundesländer ihre Verfahren weiterentwickeln können. Die Expertenkommission weist darüber hinaus darauf hin, dass es trotz der Länderhoheit bundeslandübergreifend einheitliche Definitionen geben muss, ab wann Sprachförderung nötig ist. „Denn es ob ein Kind gefördert wird oder nicht, darf nicht davon abhängen, in welchem Bundesland es lebt“, erklärt Becker-Mrotzek weiter.

Die Kommission empfiehlt hierzu eine bundeslandübergreifende Koordinierungsstelle, die den Transfer der fachlichen Impulse aus dem interdisziplinären Gremium sicherstellt und dafür Sorge trägt, dass länderübergreifend einheitliche Standards entstehen. Dabei gilt es, bereits bestehende Strukturen zu nutzen, wie die Fachministerkonferenzen der Länder oder die Bund-Länder-Initiative Bildung durch Sprache und Schrift (BISS).

Erste Analysen von Sprachstandstest zeigen Mängel

Derzeit prüft das Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache in einer Folgestudie, ob und inwiefern die eingesetzten Sprachstandsverfahren diese Qualitätsmerkmale erfüllen. Erste Analysen deuten darauf hin, dass ein großer Teil der Sprachstandsverfahren die Qualitätsmerkmale nicht ausreichend erfüllt. Die konkreten Ergebnisse werden im Herbst 2013 veröffentlicht.

Mitglieder der Expertenkommission sind: Prof. Dr. Michael Becker-Mrotzek (Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache), Prof. Dr. Dr. h. c. Konrad Ehlich (Freie Universität Berlin), Prof. Dr. Iris Füssenich (Pädagogische Hochschule Ludwigsburg), Prof. Dr. Hartmut Günther (Universität zu Köln), Prof. Dr. Marcus Hasselhorn (Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF)), Dr. Michaela Hopf (Deutsches Jugendinstitut (DJI)), apl. Prof. Dr. Stefan Jeuk (Pädagogische Hochschule Ludwigsburg), Prof. Dr. Drorit Lengyel (Universität Hamburg), Dr. Uwe Neugebauer (Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache), Prof. Dr. Argyro Panagiotopoulou (Universität zu Köln), Prof. Dr. Petra Stanat (Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB)) und Dr. habil. Jürgen Wilbert (Universität zu Köln).


Zusammenfassung der erarbeitetet Qualitätsmerkmale:




1. Berücksichtigung sprachlicher Basisqualifikationen:
Das Verfahren erfasst die zentralen Bereiche der sprachlichen Entwicklung eines Kindes.

2. Validität:
Das Verfahren ist so konstruiert, dass es exakt den Sprachstand eines Kindes erfasst und nicht andere Bereiche, wie zum Beispiel kulturelles Wissen.

3. Objektivität:
Das Verfahren ist unabhängig von subjektiven Einflussfaktoren, wie beispielsweise dem Verhalten der pädagogischen Fachkraft.

4. Reliabilität:
Das Verfahren misst den Sprachstand des Kindes präzise. Wird das Verfahren wiederholt, steht am Ende das gleiche Ergebnis.

5. Normierung:
Die Ergebnisse eines Kindes lassen sich mit den Ergebnissen anderer Kinder vergleichen. Nur so lässt ein Verfahren eine Aussage darüber zu, welche Kinder einen Sprachförderbedarf haben und welche Kinder sich sprachlich altersgerecht entwickeln.

6. Fehlerquote:
Das Verfahren stellt sicher, dass die Kinder, die einen Sprachförderbedarf haben, auch wirklich  identifiziert werden. Das Verfahren ist besonders sensitiv, d. h. im Zweifelsfall werden zunächst mehr Kinder mit einem möglichen Sprachförderbedarf identifiziert, der sich später in der detaillierten Diagnose des Förderbedarfs ggf. nicht mehr bestätigt.

7. Qualifizierung der pädagogischen Fachkräfte:
Die Personen, die den Sprachstand der Kinder messen, sind im Vorfeld für Sprachdiagnostik sensibilisiert und qualifiziert worden.

8. Zeitliche Anforderungen:
Das Verfahren berücksichtigt die Konzentrationsfähigkeit des Kindes und die zeitliche Machbarkeit im Pädagogischen Alltag.

9. Mehrsprachigkeit:
Das Verfahren erfasst die besonderen Rahmenbedingungen von Kindern, die Deutsch als Zweitsprache erlernen. Nicht jedes mehrsprachige Kind hat per se einen Sprachförderbedarf.

10. Spezifität der Diagnostik:
Das Verfahren gibt Hinweise darauf, welche Sprachfördermaßnahmen für das Kind in Frage kommen.

 


Quelle:



 

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Zum Weiterlesen:

LiSKit: Literacy und Sprache in KiTas

BaSiK - Sprachbeobachtung

Beobachtungsverfahren Sismik und Seldak
 
 




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