Übergang Kindergarten - Grundschule

Das deutsche segmentierte Bildungssystem bedingt Übergänge der Kinder zwischen Familie und nach Altersgruppen gestaffelten Bildungseinrichtungen (Krippe, Kindergarten, Grundschule, weiterführende Schularten). Der Eintritt in das formale Schulsystem ist der am intensivsten bearbeitete Übergang in der internationalen Forschung.
Wegen der Aufnahme jüngerer Kinder in Kindertagesstätten und des graduellen Absenkens des Schulpflichtalters verschieben sich die Altersgrenzen. Während in Deutschland Kinder ab dem Alter von sechs Jahren der allgemeinen Schulpflicht unterliegen, ist die vorschulische Bildung, Erziehung und Betreuung Grundrecht und Pflicht der Eltern, die diese an Kindertagesstätten in kommunaler oder freier Trägerschaft delegieren (können). Bei einer sozialpädagogischen Tradition der Kindertagesstätten hat eine zunehmende Betonung der frühkindlichen Bildung seit den 1990er Jahren Fragen insbesondere nach der Kontinuität der Erfahrungen und Kohärenz von Bildungsinhalten und nach dem Zusammenwirken zwischen Familie, vorschulischen Einrichtungen und der Schule aufgeworfen; Bildungsgerechtigkeit für Kinder mit Migrations- und mit Armutshintergrund kommen hinzu.
Unter soziologischen, pädagogischen, psychologischen und ethnografischen Zugängen hat sich weitgehend eine entwicklungs- und systembezogene Perspektive auf den Übergang Kindergarten-Grundschule mit dem Ziel Schulerfolg durchgesetzt. Theoretisch sind der Stressansatz, der die Bewältigung von Belastungen und Herausforderungen thematisiert, das Modell kritischer Lebensereignisse mit Risiko- und Schutzfaktoren, der ökosystemische Ansatz nach Bronfenbrenner, der Entwicklung im Kontext sieht, und der konstruktivistische Transitionsansatz, der Übergänge der Eltern einschließt, fruchtbar geworden.
Familie, Kindertagesstätte und Schule beeinflussen den Übergang Kindergarten - Grundschule; Kind und Eltern bewältigen ihn als (Familien-) Entwicklungsaufgabe. Eine Anforderungsstruktur auf drei Ebenen beinhaltet für das Kind drei Aufgaben:

  • (a) individuell die Entwicklung von Identität als Schulkind, von Kompetenzen im sozial-emotionalen Bereich (z.B. Selbstwertgefühl, Selbstwirksamkeitserwartung, Erfolgszuversicht), im sprachlich-kognitiven Bereich, im Bereich von Selbstkontroll- und Arbeitstechniken (Selbstüberwachung, Verarbeiten von Misserfolgen und Belastungen) und im motorischen Bereich
  • (b) interaktional die Aufnahme und Gestaltung von Beziehung zu Lehrkräften und Mitschülern, von Rollen und Erwartungen
  • (c) kontextuell die Bewältigung des Wechsels der Umgebung und des Zeitrhythmus’, der Lehr- und Lernformen mit Leistungsanforderungen, des Arbeitstempos und der Leistungsbewertung.

Dabei zeigen Kinder je nach Perspektive beim Übergang Verhaltensprobleme, Entwicklungsdisharmonien bzw. Übergangsreaktionen. Für die Eltern beinhaltet der Übergang Kindergarten - Grundschule ebenfalls Anforderungen an die eigene Identität. Darüber hinaus erleben sie einen Rückgang der Kontrolle über das Kind, müssen ihre Erwartungshaltung und Laufbahneinschätzung anpassen, den Kindern bei den Hausaufgaben helfen und sie motivieren, sollen Beziehungen zur Lehrkraft und zu anderen Eltern aufbauen und Teilhabe am schulischen Bereich entwickeln.
Die Qualität der Beziehung zur Lehrkraft und Freundschaften der Kinder wirken sich auf die Schulanpassung aus. Zuvor erworbene schulnahe Kompetenzen lassen den Erfolg oder Misserfolg beim Schriftspracherwerb und Rechnen, Belohnungsaufschub und schulischer Anpassung vorhersagen.
Bildungspläne bzw. -programme und Lehrpläne der deutschen Bundesländer sowie Bundes- und Landesprojekte zur anschlussfähigen Bildung sehen zur Erleichterung des Überganges Verbesserungen der Kooperation von Kindertagesstätten und Schulen vor; z.B. über Hospitationen und Patenmodelle.
Unter Verzicht auf Schulkindergärten, Zurückstellungen und eigene Vorklassen sollen veränderte Schuleingangsstufen und integrative Förderung im Eingangsunterricht die schulischen Anforderungen an die Eingangsvoraussetzungen der einzelnen Kinder anpassen. Die Heterogenität der familialen Bedingungen und der Gruppen und Schulklassen wird zunehmend anerkannt; Homogenisierung durch die deutsche Unterrichtssprache und situierte Interventionsprogramme für benachteiligte Schülergruppen werden angestrebt. Restringierte Kontakte zwischen Eltern und Schule sollen zugunsten von Partizipation und Partnerschaft überwunden werden.

 

Literatur

  • Daseking, M. u.a. (2008): Der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule – eine Bestandsaufnahme. In: Psychologie in Erziehung und Unterricht 55, S. 84-99.
  • Griebel, W./Niesel, R. (2011): Übergänge verstehen und begleiten. Berlin.
  • Hasselhorn, M. / Lohaus, A. (2008): Entwicklungsvoraussetzungen und Herausforderungen des Schuleintritts. In: Hasselhorn, M./Silbereisen, R. (Hg.): Entwicklungspsychologie des Säuglings- und Kindesalters. Göttingen, S. 409-428.


 

Copyright-Hinweis:
Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. © 2011 Verlag Julius Klinkhardt. Quelle: Klinkhardt Lexikon Erziehungswissenschaft (KLE), hg. v. Klaus-Peter Horn, Heidemarie Kemnitz, Winfried Marotzki und Uwe Sandfuchs. Stuttgart, Klinkhardt/UTB 2011, ISBN 978-3-8252-8468-8. Nutzung mit freundlicher Genehmigung des Verlags. Das komplette Klinkhardt Lexikon Erziehungswissenschaft erhalten Sie im UTB-Online-Shop (Link s.u.)

 

 



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