Raumgestaltung als Booster für die Bildung
Eine durchdachte Raumgestaltung unterstützt die Entwicklung und das Wohlbefinden der Kinder. Frühpädagogik-Expertin Helen Knauf erklärt im Interview mit Meine Kita (Franziska Schubert), wie gute Raumkonzepte in Kitas die Lernmotivation fördern, und räumt mit verbreiteten Mythen auf.
Helen Knauf ist Professorin für Frühkindliche Bildung am Fachbereich Sozialwesen der Hochschule Bielfeld. Einer ihrer Arbeitsschwerpunkte ist Raumgestaltung und Bildung.
- Welche Vorteile haben durchdachte Raumkonzepte für Kinder?
Helen Knauf: Ein ideal gestalteter Raum rückt die Perspektive des Kindes in den Mittelpunkt, orientiert sich an dessen Bedürfnissen und Interessen und unterstützt die Ziele der jeweiligen Landesbildungspläne. Ein kindorientiertes Raumkonzept schafft eine Umgebung, die zur Entfaltung
der Kinder beiträgt. Solche Räume fördern das Wohlbefinden und die Entwicklung der Kinder, da sie in einer Umgebung lernen und spielen, die auf sie abgestimmt ist.
- Welche Aspekte müssen Kitas dabei besonders berücksichtigen?
Die Räume sollten die Sinne der Kinder ansprechen und eine Atmosphäre schaffen, in der sie sich wohl fühlen. Dazu gehören helle und gut beleuchtete Räume, eine gedämpfte Akustik sowie natürliche Materialien und Farben. Flexibel gestaltbare Räume unterstützen die Lernmotivation und das Wohlgefühl der Kinder. Die Bildungsforschung bestätigt: Wenn Kinder sich in ihrem Raum wohlfühlen, steigt ihre Lernmotivation.
- Inwiefern sind Licht und Farben wichtig für das Raumkonzept?
Natürliches Licht fördert Aufmerksamkeit und Wohlbefinden der Kinder mehr als künstliches. Gleichzeitig sind auch Rückzugsbereiche mit weniger Licht wichtig, denn Kinder brauchen auch geschützte, ruhigere Räume. Farben sollten dezent eingesetzt werden, um eine Überladung zu vermeiden. Sandtöne oder Pastelltöne bieten eine entspannte Grundatmosphäre, während kräftige Akzentfarben beispielsweise Blau- oder Grüntöne dabei helfen, Bereiche zu strukturieren und Orientierung zu geben.
- Welche Rolle spielt die Akustik? Vor allem Hall ist ein Problem in vielen Kitas.
Der Hall selbst ist nicht das Hauptproblem, sondern die dadurch entstehende Lärmbelastung. Kinder sind sehr lärmempfindlich und ein hoher Geräuschpegel belastet sie und die Fachkräfte. Deshalb ist eine gute
Akustik essenziell, die durch schallschluckende Materialien wie Teppiche, Polster oder Stoffe unterstützt wird. Glatte Oberflächen wie Böden und Möbel erhöhen den Geräuschpegel, daher sollte eine Kombination aus pflegeleichten und schallabsorbierenden Materialien gewählt werden.
- Welche Mythen und Irrtümer gibt es bei der Raumgestaltung von Kitas?
Ein verbreiteter Mythos ist, dass Kinder vor allem intensive Farben oder Primärfarben bevorzugen. Tatsächlich kann eine zu intensive Farbgebung bei Kindern Stress auslösen. Dezente, ruhige Farben schaffen hingegen eine entspannte Umgebung, in der Kinder selbst durch ihre Aktivitäten Farbe in den Raum bringen. Ein weiterer Mythos ist, dass man in Kitas ausschließlich kindgerechte Möbel benötigt. Möbel aus der Erwachsenenwelt oder Alltagsobjekte regen die Kinder aber zum Entdecken an, da sie neue Reize bieten und die Verbindung zur realen Lebenswelt stärken.
- Welche Möglichkeiten gibt es, Kita-Räume flexibel zu gestalten?
Praktische Möbel auf Rollen oder leicht verschiebbare Raumteiler wie Vorhänge erlauben es, schnell neue Bereiche zu schaffen und lassen sich täglich anpassen. Zudem können Kinder durch leicht zugängliche und geordnete Materialien an der Gestaltung ihrer Umgebung teilhaben, was ihre Selbstständigkeit stärkt und die Möglichkeit zur Ko-Konstruktion von Wissen stärkt.
- Wie kann die Präsentation der Materialien eine bessere Raumatmosphäre schaffen?
Materialien sollten sichtbar und zugänglich sein. Bücher, die frontal präsentiert und regelmäßig ausgetauscht werden, wirken beispielsweise besonders einladend. Transparente Boxen und offene Regale sind ebenfalls gute Präsentationsmöglichkeiten. Eine durchdachte Wanddokumentation mit Fotos und Zeichnungen der Kinder unterstützt
ihre Identifikation mit dem Raum und stärkt das Gefühl der Zugehörigkeit. So wird die Kita zu einem Raum, in dem Kinder sich repräsentiert fühlen.
- Im Sinne von Bildung 5.0 sollten auch digitale Technologien im Raumkonzept integriert sein.
Ja, neben Tablets und digitalen Tafeln in Funktionsbereichen gibt es auch bildschirmfreie digitale Möglichkeiten, die speziell für junge Kinder geeignet sind. Dazu gehören programmierbare Smart Toys wie kleine Roboter und Audio-Stifte, mit denen Kinder und Fachkräfte etwa QR-Codes scannen
können, um gesprochene Texte abzurufen. Es sollten also auch Technologien genutzt werden, die ohne Bildschirm funktionieren. Der Fokus sollte insgesamt auf der konstruktiven und produktiven Arbeit mit digitalen Medien liegen, also der kreativen, explorativen und forschenden Nutzung von digitaler Technik.
- Sollten diese Technologien für Kinder immer griffbereit sein?
Digitale Technologien sollten flexibel verfügbar sein – etwa so, dass Kinder sie sehen und bei Interesse nachfragen können, ohne dass sie ständig zugänglich oder versteckt sind. Und keine Sorge, anfangs häufig genutzte Geräte wie Tablets oder Smart Toys verlieren mit der Zeit meist ihren Reiz und werden dann natürlicher in den Alltag integriert. Entscheidend ist, dass die Nutzung zum Digitalkonzept und den pädagogischen Zielen der Einrichtung passt. Eine fest installierte Digitalwerkstatt oder ein Medienspielbereich kann dabei sinnvoll sein, aber auch zeitlich begrenzte Zugangsphasen sind möglich – je nach den spezifischen Anforderungen der Einrichtung.
- Was ist der häufigste Fehler bei Raumkonzepten in Kitas?
Dass es oft gar kein Raumkonzept gibt. Stattdessen entwickeln sich die Räume über Jahre hinweg ohne gezielte Planung. Obwohl ein Kita-Team sich zum Beispiel mit Themen wie Partizipation, Bewegung oder Musik beschäftigt, spiegelt sich das im Raum oft nicht wider. Es ist deshalb wichtig regelmäßig zu prüfen, ob die Raumgestaltung noch dem pädagogischen Konzept entspricht. Wenn der Raum nicht mehr zu den pädagogischen Zielen passt, lassen sich die Ziele nicht erreichen. Ein gut gestalteter Raum hingegen unterstützt die pädagogische Arbeit und ist ein Booster für die Pädagogik.
- Bei welchen Punkten hapert es häufig bei der Umsetzung?
Oft sind die Räume einfach zu voll. Kitas möchten Kindern möglichst viele Anreize bieten und stellen dafür viele Materialien und Möbel bereit. Diese Überfüllung kann jedoch zu einer unruhigen und überladenen Umgebung führen. Ein Lösungsansatz ist es, ein Archiv zu schaffen, in dem Materialien gelagert werden, die man nicht so oft braucht. Durch gezielte Auswahl und Rotation des Angebots bleibt der Raum aufgeräumter und ansprechender. Zudem sollten sich Kita-Teams überlegen, welche Möbelstücke sie wirklich brauchen, um Offenheit und Raum für Entfaltung zu schaffen.
- Welche Bedeutung hat das Raumkonzept denn für das Wohlbefinden der Fachkräfte?
Ein angenehm gestalteter Raum sorgt dafür, dass sich Erzieherinnen und Erzieher wohlfühlen, was wiederum positiv auf die Kinder ausstrahlt. Fachkräfte können besser arbeiten und sich mehr auf die Kinder konzentrieren, wenn sie sich wohlfühlen. Es ist wichtig, das Zusammenspiel von Fachkräften und Kindern im Raum nicht aus den Augen zu verlieren.
- Ist ein gutes Raumkonzept teuer?
Nicht unbedingt. Oft ist es nicht nötig, teure neue Möbel oder spezielles Baumaterial zu kaufen. Vielmehr lässt sich durch das Ausmisten unnötiger Dinge und die gezielte Auswahl von Materialien und Dokumentationsflächen schon viel erreichen. Allerdings kann für eine umfassende Umsetzung ein gewisser finanzieller Aufwand notwendig sein, den Träger berücksichtigen sollten. Mein Appell lautet daher nicht zu sparen, sondern das Raumkonzept als Teil der pädagogischen Qualität zu fördern.
Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus
Meine Kita 04-24, S. 8-10
- Zuletzt bearbeitet am: Mittwoch, 11. Dezember 2024 08:24 by Karsten Herrmann