Berliner Eingewöhnungsmodell

Wie die KiTa zum "sicheren Hafen" wird

Säuglinge und Kleinkinder bauen als erstes eine Bindung zu ihren familiären Bezugspersonen auf. Begleiten Mutter oder Vater ihr Kind beim Übergang in die KiTa, kann es in seinem eigenen Tempo eine Beziehung zur pädagogischen Fachkraft initiieren. Dies legt die Basis für Neugier, Autonomie und Bildungsprozesse. Unter dem Titel „Das Berliner Eingewöhnungsmodell – Theoretische Grundlagen und praktische Umsetzung“ aus der Reihe Kita Fachtexte beschreiben Katja Braukhane und Janina Knobeloch, Pädagoginnen und Dozentinnen am Berliner Institut für Frühpädagogik e.V.,  Wirkungsweise und Hintergrund des Modells zum sanften Übergang zwischen Familie und KiTa.

Die Autorinnen stellen die große Herausforderung für Kinder dar, sich auf eine neue Umgebung und eine fremde Betreuungsperson einzustellen. Auf Grundlage einer Studie der Freien Universität Berlin aus den 80er Jahren waren Kinder, die ohne Einführung durch die Eltern in die KiTa kamen, in den ersten sieben KiTa-Monaten vier Mal länger krank, zeigten irritiertes Bindungsverhalten und einen geringeren Entwicklungsstand (vgl. Laewen, 2006). Daraufhin entwickelte infans (Institut für Angewandte Sozialisationsforschung/Frühe Kindheit e.V.) das Berliner Eingewöhnungsmodell. Als Konzept zur sensiblen KiTa-Eingewöhnung berücksichtigt es „Temperament, die bisherigen Bindungserfahrungen und das individuelle kindliche Verhalten“.

Laut Braukhane und Knobeloch sollte sich ein Elterteil zwei bis vier Wochen Zeit nehmen, wobei die tatsächliche Dauer der Eingewöhnung vom Kind abhängt und zwischen drei und 16 Tagen schwankt. Mit der begleitenden familiären Bezugsperson im Hintergrund kann eine sichere, bindungsähnliche Beziehung zur pädagogischen Fachkraft entstehen. Die Autorinnen beschreiben damit das „Gefühl von Sicherheit“ – als „Grundlage für gelingende Bildungsprozesse“. Zudem haben Eltern wie Kind währenddessen Gelegenheit, die Räumlichkeiten und Prozesse der KiTa kennen und später nutzen zu lernen.

In sechs Stufen  zum sanften KiTa-Einstieg

  1. Rechtzeitige Information: Den Eltern wird Bedeutung und Ablauf der Gewöhnung an die KiTa wird  verdeutlicht. Optimalerweise füllen die Eltern einen Fragebogen aus, der Vorlieben oder Wortschöpfungen des Kindes sowie abholberechtigte Personen und Allergien beschreibt.
  2. Dreitägige Grundphase mit Elternteil: Während der ein, zwei Stunden in der KiTa hält sich die elterliche Bezugsperson als „sicherer Hafen“ aufmerksam im Hintergrund, übernimmt aber weiterhin die Pflege-Situationen. Die pädagogische Fachkraft baut über Spielangebote ersten Kontakt zum Kind auf.
  3. Erster Trennungsversuch: Am vierten Tag verlässt die Mutter oder der Vater nach der Verabschiedung den Raum. „Lässt sich das Kind schnell von der Fachkraft beruhigen oder ist es eher gleichmütig, sollte die erste Trennungsperiode 30 Minuten betragen.“ Reagiert das Kind ungehalten, weinend oder verstört, bieten sich nur zwei, drei Minuten Trennung an. Daraus lässt sich häufig der weitere Verlauf der Eingewöhnung ableiten.
  4. Länge der Eingewöhnung: Bei sicher gebundenen Kindern dauert die Eingewöhnung zwischen zwei und drei Wochen. Unsicher gebundene Kinder brauchen ungefähr eine Woche für den Übergang.
  5. Stabilisierungsphase: Bezeichnend hierfür ist, dass die Fachkraft das Kind trösten kann und es sich der KiTa-Umgebung neugierig zuwendet. Bei unsicher gebundenen Kindern beginnt am fünften Tag (nie ein Montag) die schrittweise Übergabe der Routine-Aufgaben wie Füttern und Wickeln – anfangs in elterlicher Begleitung. Die Spiel-Partnerschaft intensiviert sich. Die Trennungsphasen werden täglich gesteigert. Laut infans kann das Kind nun an den Mittagsschlaf in der KiTa gewöhnt werden, im Beisein der Fachkraft. „Akzeptiert das Kind die Trennung noch nicht, sollte bis zur zweiten Woche mit einer neuen Trennung gewartet werden.“ Sicher gebundene Kinder sollten erst am neunten Tag in der KiTa schlafen und sensibel von der Fachkraft begleitet werden.
  6. Schlussphase: Das Kind verbringt jeweils einen halben Tag in der KiTa. Es lernt neugierig die Abläufe, Möglichkeiten und Regeln der KiTa kennen, entweder durch das „Austesten von Grenzen“ oder „vom Schoß der Erzieherin aus“, wie die Autorinnen es bezeichnen. Die Fachkraft übernimmt die Rolle der „sicheren Basis“. Während sich das Kind in den nächsten Wochen in die Gruppe einfügt, sollte die oder der ErzieherIn den Kontakt stabilisieren. Im Vordergrund stehen die Bedürfnisse und das Vertrauen des Kindes in eine Sicherheit bietende Person. Das heißt nach wie vor, dass die elterliche Bezugsperson für Notfälle und überfordernde Situationen (an)gerufen wird.

Für wichtig erachten Brackhane und Knobeloch, die „Flut an neuen Reizen“ zu minimieren und wenig belastend zu gestalten. So können olfaktorischolfaktorisch|||||Der olfaktorische Sinn bescheibt den Geruchssinn oder Riechwahrnehmung.e oder visuelle Gewohnheiten (Geruch, Sehen) mit einem Schnuffeltuch oder Fotos von Zuhause Vertrauen schaffen. Das Kind sollte in der KiTa eine Tagesstruktur und räumliche Stabilität erleben während der Eingewöhnung. Und: Der zeitliche Aufwand der Eingewöhnung sollte an den Einsatzplan der ErzieherInnen angepasst sein.

Lesen Sie weiter: Bindungstheorie in pädagogischer Handlungsdimension (Fabienne Becker-Stoll)
 



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