Raum und Ausstattung in KiTa & Tagespflege

Expertise dokumentiert Ist-Stand und gibt Handlungsempfehlungen

Hintergrund

Nach der Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab dem vollendeten 1. Lebensjahr und dem entsprechenden quantitativen Ausbau kommt nun die Qualitätsentwicklung in den Fokus. Im November 2014 haben sich so die Bundesfamilienministerin und die zuständigen Fachministerinnen und Fachminister der Länder im Rahmen einer Konferenz zur frühen Bildung auf einen Prozess zur Entwicklung gemeinsamer Qualitätsziele in der Kindertagesbetreuung geeinigt. Hierzu wurde ein gemeinsames Communiqué unterzeichnet. Dieser Qualitätsprozess soll unter Einbeziehung der kommunalen Spitzenverbände und im Dialog mit den Verbänden und Organisationen erfolgen.


Im Rahmen dieses Prozesses hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) fünf Expertisen zu zentralen Qualitätsthemen gefördert, die von Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft erarbeitet wurden. Die Expertinnen und Experten leiteten Handlungsempfehlungen für die Weiterentwicklung der pädagogischen Qualität in unterschiedlichen Bereichen der Kindertagesbetreuung ab – von der Fachkraft-Kind-Relation über die Leitungsfunktionen in KiTas bis zum Raum und. Die Expertisen basieren auf einer Analyse der aktuellen Situation anhand empirischempirisch|||||Empirie bezeichnet wissenschaftlich durchgeführte Untersuchungen und Erhebung, die gezielt und systematisch im Forschungsfeld oder im Labor durchgeführt werden. Empirische Forschungen können durch verschiedene Methoden praktisch angewendet werden.er Daten und der vorhandenen (rechtlichen) Rahmenbedingungen auf Bundes- und Landesebene (Ist-Zustand) sowie der Definition von wissenschaftlich begründeten und empirisch abgesicherten Qualitätsstandards (Soll-Zustand). Der Vergleich von Ist- und Soll-Zustand erlaubt die Bestimmung steuerungsrelevanter Konsequenzen für die einzelnen Bereiche. Damit sollen die Expertisen einen Impuls und wissenschaftlichen Beitrag für die Debatte rund um das Thema Qualität in der Kindertagesbetreuung geben.


Qualität für alleDie fünf verschiedenen Expertisen sind in dem Sammelband „Qualität für alle. Wissenschaftlich begründete Standards in der Kindertagesbetreuung" im Herder-Verlag erschienen. Mit freundlicher Genehmigung des Verlages und des BMFSFJ präsentieren wir Ihnen hier die zentralen Ergebnisse und Handlungsempfehlungen der Expertise zu „Raum und Ausstattung in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege" von Joachim Bensel, Fransziska Martinet und Gabriele Haug-Schnabel von der Forschungsgruppe Verhaltensbiologie des Menschen.

 

Zusammenfassung der Expertise

Die Expertise „Raum und Ausstattung in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege" beschreibt und analysiert den Erkenntnisstand zu Raum und Ausstattungsqualität in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege und leitet daraus Empfehlungen politisch regulierbarer Merkmale ab.


Es wird dabei mehrstufig vorgegangen: Zunächst erfolgt eine Recherche und Auswertung wissenschaftlicher und fachlicher Empfehlungen zu guter Raum- und Ausstattungsqualität, danach eine vergleichende Zusammenschau der vorhandenen Regelungen und Empfehlungen der Bundesländer hinsichtlich Raum und Ausstattung in der Kindertagesbetreuung. In einem nächsten Schritt wird eine Ist-Stand-Analyse tatsächlich gegebener Raumqualität anhand vorliegender empirischer Daten vorgenommen. Abschließend werden die von Experten empfohlene, von den Bundesländern vorgegebene sowie die tatsächlich vorhandene Raumqualität miteinander verglichen. Der Vergleich soll klären, wie weit die Ländervorgaben und Expertenaussagen auseinanderliegen, ob es bei den gesetzlichen Regelungen und Empfehlungen um Qualitätssicherung geht und welche Qualität in der Betreuungsrealität tatsächlich anzutreffen ist.

 

Raumgröße und -gestaltung als wirkmächtige Qualitätsparameter


Raumgröße und -gestaltung sowie Ausstattungsangebot zählen zu den wirkmächtigen strukturellen Faktoren der Kindertagesbetreuung neben Fachkraft-Kind-Relation, pädagogischer Qualifikation des Personals und weiteren Qualitätsparametern. Empirische Belege unterstreichen die Effekte guter Raumqualität auf die beim Kind ankommende Prozessqualität und damit letztendlich auf Verhalten und Entwicklungschancen von Kindern. Die Forschung zeigt, dass Gestaltung, Zuschnitt und Größe frühpädagogischer Umgebungen kindliches Lernen, Kreativität, Verhalten und kulturelles Interesse beeinflussen. Auch aktuelle Entwicklungsforschung nimmt das Thema Räume hinsichtlich resilienzfördernder räumlicher Qualitätsaspekte verstärkt in den Blick.


Neben der Recherche vorhandener Fachveröffentlichungen und Angaben einschlägiger Frachgremien und -verbände wurden im Rahmen der Studie 24 Raumexperten zu den relevanten Aspekten eines Bildungsraums und empfehlenswerten Raumgrößen in der Kindertagesbetreuung befragt. Auf Basis der Expertenaussagen und eigener Vorstudien wurden 13 sogenannte Bildungsraummerkmale erarbeitet und anhand zahlreicher Beispiele konkretisiert. Die erstellte Systematik ist als Werkzeug zur ProfessionalisierungProfessionalisierung|||||Eine Professionalisierung findet im weiteren Sinne statt wenn die Entwicklung einer privat oder ehrenamtlich ausgeübten Tätigkeit zu einem  Beruf wird. Im Rahmen der Professionalisierung werden häufig Qualitätsverbesserungen und Standardisierungen erreicht. Professionalisierung bedeutet auch die Entwicklung eines Berufs zu einer Profession, darunter wird meist ein akademischer Beruf mit hohem Prestige und Anerkennung verstanden.   der Fachkräfte zu verstehen, um sich für diese wichtigen Indikatoren guter Raumqualität zu sensibilisieren und eine anregungsreiche Umgebung im Sinne einer Bildungsbegleitung der Kinder gestalten zu können.

 

Formulierung quantitativer Standards


Neben den mehr qualitativen Aussagen hinsichtlich relevanter Bildungsraummerkmale wurden anhand der Expertenaussagen quantitative Standards hinsichtlich notwendiger Raumgrößen im Innen- und Außenbereich formuliert. So sind für den Innenbereich in Kindertageseinrichtungen und KindertagespflegeKindertagespflege|||||Kindertagespflege oder Tagespflege umfasst eine zeitweilige Betreuung von Jungen und Mädchen bei Tagesmüttern oder Tagesvätern. Nach dem Tagesbetreuungsausbaugesetz von 2004 ist die Tagespflege neben der Tagesbetreuung in Kindertageseinrichtungen eine gleichwertige Form der Kindertagesbetreuung. stellen sechs Quadratmeter Gruppenraum (inkl. Nebenraum) pro Kind zu empfehlen und für das Außengelände 15 Quadratmeter pro Kind. Wir empfehlen zudem eine einheitliche Regelung des Raumbedarfs für jüngere und ältere Kinder – betreuungsformübergreifend – auf hohem Niveau, da keine empirischen Belege vorliegen, die für eine Altersgruppe einen anderen Raumbedarf anzeigen als für die andere. Für die Krippengruppen lässt sich der Raumbedarf durch die differenzierten Entwicklungsaufgaben der ersten Lebensjahre begründen: So werden geschützte Bereiche für die noch weitgehend immobilen Säuglinge benötigt, ausreichende wie auch sichere Bewegungszonen für die Krabbelkinder und großzügige Fahr- und Rennstrecken für die Eineinhalb- und Zweijährigen. Kindergartenkinder benötigen für ihre anstehenden Entwicklungsaufgaben ebenso viel Raum: für Bewegungs- und Rollenspiele, Raum zum Gestalten und für überdauernde Bauwerke und Kreativarbeiten, an denen sukzessive weitergearbeitet werden kann. Anspruchsvollere Bildungsraummerkmale, die beispielsweise Experimentier- und Forscheraktivitäten erlauben, fordern ausreichend Platz. Auch zunehmende Kleingruppenaktivitäten der älteren Kinder beanspruchen mehr exklusiven Raum in einer differenziert gestalteten Umgebung.


Auch sollte bei der Bereitstellung ausreichender Fläche dafür Sorge getragen werden, dass es sich weitgehend auch um für Bewegung und motorische Aktivität frei nutzbare Fläche handelt und nicht um Raum, der durch stationäres Mobiliar (Tische, Stühle etc.) in seiner Funktionalität eingeschränkt und festgeschrieben wird.


Auch der Mehrzweck- und Bewegungsraum sollte ausreichend bemessen sein, die Empfehlungen von NRW und Baden-Württemberg können hier als Orientierungsrahmen dienen (mindestens 50 bis 55 qm). Außerdem sollte der Raum den Kindern für den größten Teil des Tages zur Verfügung stehen, damit diese ihrem anhaltenden Bewegungsdrang jederzeit nachkommen können.


Des Weiteren sollte jeder Einrichtung, auch wenn sie nur eine oder wenige Gruppen umfasst, eine Mindestaußenfläche von 500 qm zur Verfügung stehen. In einer Kindertagespflegestelle sollte bei fehlendem eigenen Außengelände eine sichere (auch Hygiene betreffend), nahegelegene und anregungsreiche öffentliche Außenanlage regelmäßig zugänglich sein oder zugänglich gemacht werden.


Sollten vorhandene Räume und somit die Einrichtung nicht erweiterbar und durch eine Erhöhung des Raumbedarfs pro Kind die Einrichtung in ihrer Existenz gefährdet sein, könnte Bestandsschutz durch eine entsprechende Verringerung der Gruppengröße gewährleistet werden.

 

Nachbesserungsbedarf in den Länderregelungen


In den Länderregelungen finden sich nur selten Hinweise auf weiterführende Raumaspekte. Hier besteht dringender Nachbesserungsbedarf auch hinsichtlich einer rechtlichen Verbindlichkeit. Auf einer elementaren Ebene sollte die im weiteren Sinne gesundheitsgerechte Ausstattung in der Kindertagesbetreuung in den Blick genommen und in einheitlichen Vorgaben ausgeführt werden, welche baulichen und organisatorischen Maßnahmen hierfür nötig sind, und wie sichergestellt werden kann, dass die entsprechenden Vorschriften auch eingehalten werden. In diesem Zusammenhang zu beachten ist beispielsweise ein ausreichender Schallschutz für Kinder und Erwachsene, einheitliche Hygienevorschriften, Standortwahl der Einrichtung, gute Temperaturregulation, gute Belüftung der Räume, gute Beleuchtung der Räume mit unterschiedlichen und dimmbaren Lichtquellen, Gewährleistung von Sonnenlichteinstrahlung und Barrierefreiheit.


Die umfassende Analyse der aus Expertensicht notwendigen Standards hinsichtlich kindgerechter und entwicklungsförderlicher räumlicher Umgebungen in der Kindertagesbetreuung einerseits und durch Landespolitik verbindlich geregelter Rahmenbedingungen andererseits offenbart eklatante Regulationslücken. Die Länderregelungen und Empfehlungen liegen nicht allein hinsichtlich Flächenvorgaben, relevanten Raumarten und -aspekten sowie notwendigen Bildungsraummerkmalen unter den Vorgaben, die die Experten quantitativ und qualitativ fordern, der Missstand bezüglich räumlicher Qualität wird auch in der Inkonsistenz und Heterogenität zwischen den 16 Bundesländern sichtbar. Die höchsten Quadratmeterangaben etwa werden dort gemacht, wo sie nur auf der Empfehlungsebene angesiedelt sind (z.B. Nordrhein-Westfalen für den Innenbereich in Krippeneinrichtungen). Auf der anderen Seite werden dort, wo der Regulierungsgrad am höchsten ist (Niedersachsen, Berlin und Thüringen), weniger Quadratmeter pro Kind und am wenigsten Bildungsraummerkmale sowie insgesamt sehr wenige Raumarten und -aspekte vorgeschrieben.

 

Empfehlungen werden oft unterschritten


Betrachtet man die tatsächlich vorhandenen Flächen in Kindertageseinrichtungen liegt rund ein Drittel der Kindergärten und Krippen in Bezug auf Innen- und Außenfläche unter den von den Ländern im Mittel vorgegebenen Flächengrößen, den empfohlenen Expertenwert für den Innenbereich verfehlen nahezu alle Einrichtungen, den für den Außenbereich etwa die Hälfte.


Die Flächen der Tagespflegestellen erreichen in Bezug auf den Innenbereich weit höhere Werte als die Kindertageseinrichtungen und liegen damit deutlich über den Expertenempfehlungen. Allerdings wurde in den Kindertagespflegestellen die gesamte vom Kind nutzbare Fläche erfasst, was eine Vergleichbarkeit zu Kindertageseinrichtungen, in denen nur der Gruppenraum berücksichtigt wurde, erschwert. Die Werte der Außenanlagen sind sehr heterogen: So gibt es Tagespflegestellen ohne Außengelände, aber auch solche mit sehr großen Freiflächen. Unklar bleibt, ob der von Experten für alle Tagespflegestellen geforderte leichte Zugang zu öffentlichem Außengelände in der Realität tatsächlich gegeben ist.


Über den Ist-Stand der Bildungsraumqualität in der Kindertagesbetreuung gibt es keine systematischen Erhebungen in Deutschland. Selbstauskünfte der Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflegestellen hinsichtlich Räumlichkeiten und Ausstattung sind nur von begrenzter Aussagekraft und sollten dringend systematisch durch objektive externe Beobachtungen validiert werden.

 

Empfehlung: Länderübergreifender Bildungskanon guter Räume


Festgeschrieben werden sollte unseres Erachtens aber keine von Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege abzuarbeitende Liste zahlreicher Einzelbeispiele guter Raumqualität, sondern ein länderübergreifender Bildungskanon guter Räume, der durch ausreichend qualifiziertes Fachpersonal gesichert wird. Hierfür müssen bereits in der Ausbildung an Fach- und Hochschulen, aber auch in der Fort- und Weiterbildung verbindliche Kerncurricula mit entsprechenden Modulen zur Raumqualität verankert werden.


Eine Sensibilisierung der Leitungen und Teams für Bildungsraumqualitäten wird nur durch entsprechend qualifizierte Fachberatungen mit Unterstützung der Träger gehen, da diese jeweils vor Ort in Augenschein nehmen müssen, inwieweit Bildungsraummerkmale vorhanden sind und Raumpädagogik entsprechend umgesetzt wird, damit Kinder unterschiedlichen Alters zunehmend komplexer und herausfordernder ihre Bildungs- und Betreuungsstätten nutzen können. Hierbei wird es auch um die Gestaltung von Räumen mit Themenschwerpunkten, Funktionsbereichen bis hin zu gruppenübergreifenden Erfahrungsmöglichkeiten gehen.


Auch im Bereich des Strukturmerkmals Raumqualität offenbart sich ein dringender bundesweit einheitlicher Regulierungsbedarf, der zur Sicherung echter kindlicher Bildungsräume außer Haus notwendig erscheint, da Länder und Kommunen auf sehr unterschiedlichem Niveau versuchen, diesen wichtigen Qualitätsbereich zu sichern.


Eine gute Raumqualität stellt sich in der Praxis selten von alleine ein. Was wir über die tatsächliche Raumqualität von Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege wissen, offenbart eine große Heterogenität zwischen den einzelnen Betreuungsorten, die zwischen ausgezeichnet und bedenklich rangiert. Ob ein Kleinkind einen großräumigen und anregenden Bildungsraum oder einen beengten und öden Verwahrungsort vorfindet, sollte aber nicht dem Zufall überlassen bleiben.

 



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