Begabungen und Selbstkompetenzen

Wer sich angenommen fühlt, lernt besser

Inhaltsverzeichnis

  1. Qualität der Beziehung
  2. Erwerb von Selbstkompetenzen
  3. Selbstkompetenzen und schulisches Lernen
  4. Diagnostik von Selbstkompetenzen
  5. Literatur

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Diagnostik von Selbstkompetenzen


Mit der Osnabrücker Persönlichkeitsdiagnostik lassen sich im Unterschied zu klassischen Persönlichkeitstests sehr viele (d.h. an die 100) persönliche Kompetenzen (Selbstkompetenzen) differenzieren. Sie kann bei Beratung und Coaching von Führungskräften ebenso eingesetzt werden (Kuhl & Strehlau, 2009) wie zur Planung und Evaluation von Psychotherapie (Ritz-Schulte/Schmidt/Kuhl 2008) und zur Begabungsförderung bei Schulkindern (Kuhl 2004; Renger 2009; Künne 2008).

Die Berücksichtigung dieser mannigfaltigen Kompetenzen erlaubt ein besseres Verständnis der Ursachen einer Leistungsstörung und eine sehr konkrete Antwort auf die Frage, welche individuellen Kompetenzen gefördert werden können und sollten, um die Begabung eines Kindes besser zur Entfaltung zu bringen. Dies gilt vor allem auch im Vor- und Grundschulalter, das wir in unserer zukünftigen Forschungsarbeit zunehmend berücksichtigen wollen.

In einem seit gut zwei Jahren laufenden Projekt entwickeln wir neue Methoden, mit denen wir Vorläufer späterer Selbstkompetenzen bereits im Grundschulalter untersuchen können. Die bisherigen Ergebnisse geben interessante Aufschlüsse über wichtige Funktionen, die sich im Alter von vier bis sechs Jahren entwickeln. Beispiele hierfür sind die Fähigkeit, unerledigte Absichten (z.B. eine etwas langweilige Aufgabe nach einer Unterbrechung wieder aufzunehmen und zu Ende zu führen, sowie die empathische Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen oder entwicklungspsychologische Vorläufer der Fähigkeit zur Verantwortungsübernahme, die sich z.B. aus der Tendenz ablesen lässt, einseitig anderen oder sich selbst die Schuld für ein Missgeschick zuzuschreiben).

So zeigt sich beispielsweise, dass selbst eine hohe Intelligenz kaum in entsprechende Schulleistung umgesetzt wird, wenn nicht die gefühlte Leistungsmotivation gut entwickelt ist (Kuhl/Solzbacher et al., 2010).  Andere Selbstkompetenzen, wie die Fähigkeit, Absichten in die Tat umzusetzen, sind für Hochbegabte weniger wichtig als für Schüler mit unterdurchschnittlichem IQ. Wiederum andere Selbstkompetenzen beeinflussen unabhängig von der Intelligenz die Leistung. Die gute Beziehung zum Kind wirkt sich bei Kindern mit hohem wie niedrigem IQ positiv auf die Schulleistung aus, während Leistungsangst von SchülerInnen ebenso wie die »sorgenvolle Leistungsorientierung« der Eltern sowohl bei hohem wie niedrigem IQ die Schulleistung beeinträchtigt. Ganz besonders nachdenklich stimmt der Befund, dass Hochbegabte, die sich von der LehrerIn nicht angenommen fühlen, fast ähnlich niedrige Schulleistungen zeigen wie SchülerInnen, deren IQ weit unter dem  Durchschnitt liegt. Obwohl diese Befunde noch vorläufigen Charakter haben und die genauen Verursachungszusammenhänge noch weitgehend unerforscht sind, machen sie doch deutlich, wie wichtig es ist, den Beitrag von Selbstkompetenzen in Forschung und Praxis sorgfältig zu beachten. Obwohl Begabungen sehr viel weiter gestreut sind als das, was sich als Leistung in der Schule zeigen kann, darf die Bedeutung der Schulleistung für die Entfaltung latenter Begabungspotenziale nicht übersehen werden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die psychologische Forschung heute ermöglicht, eine Vielzahl von Selbstkompetenzen bereits im Kindergarten und im Grundschulalter zu messen. Die dargestellten Forschungsergebnisse zeigen nicht nur, dass, sondern auch warum Selbstkompetenzen maßgeblich von der Beziehung zwischen dem Kind und seinen Bezugspersonen abhängig sind und warum sie dazu beitragen, dass sich Begabungen entfalten können. Die Entfaltung solcher Begabungsaspekte wird offensichtlich durch Selbstkompetenzen unterstützt. Dazu gehören Kompetenzen wie eigenständiges Planen, Aufrechterhalten der Aufmerksamkeit, das Sich-zu-eigen-Machen von Leistungszielen (Integration ins Selbst) und die Fähigkeit zur Selbstberuhigung, die es ermöglicht, aus Fehlern und Misserfolgen zu lernen, statt sich davon lähmen zu lassen.

Alle diese Kompetenzen werden im psychischen System gebildet und bereitgestellt, das wir das Selbst nennen. Dieses System ist in der Lage eine Vielzahl von momentan relevanten Lebenserfahrungen gleichzeitig »auf den Schirm zu bringen«, ohne dass dazu ein bewusstes Nachdenken notwendig ist. Dass die Entwicklung des Selbstsystems maßgeblich von der Qualität der Beziehung zwischen dem Kind und seinen Bezugspersonen abhängig ist, hat einen einfachen Grund: Das Selbstsystem kann alle Erfahrungen, die es von Bezugspersonen lernen kann, wie Beruhigung, Ermutigung, planvolles Vorgehen u.v.m., nur dann integrieren (um sie später von »selbst« nutzen zu können), wenn es eingeschaltet ist. Eingeschaltet wird es aber nur, wenn das Kind sich als Person angesprochen und akzeptiert fühlt. Denn das ist die Hauptaufgabe des Selbstsystems: Die Person als Ganze im Blickfeld zu haben, d.h. sich selbst oder eine andere Person mit ihren Stärken und Schwächen, Erlebnissen und Belastungen, Vorlieben und Abneigungen zu sehen.

 


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