Fachbeiträge

Qualitätsentwicklung durch inklusive Frühpädagogik

Fachartikel-Review

In einem Beitrag für „DiskursDiskurs|||||Der Begriff Diskurs kann verschiedene Bedeutungen haben, wurde ursprünglich jedoch als  „hin und her gehendes Gespräch“ verwendet. Weitere Bedeutungen sind: theoretische Erörterung, systematische, methodische Abhandlung, gesellschaftliche Auseinandersetzung, Erörterung. Sinnverwandt sind auch Debatte, Diskussion, Disput.  Kindheits- und Jugendforschung“ beleuchten Regina Schelle und Tina Friedrich die Frage, inwiefern eine inklusive Frühpädagogik zur Weiterentwicklung der Qualität in der KiTa beitragen kann. Sie nehmen dafür nach einer Kurzeinführung in das Konzept der Inklusion sowie erster Antworten aus Forschungsstudien sechs Schlüsselprozesse in der KiTa in den Blick:

  • Individuelle Bildungs- und Lernprozesse
  • Kooperative Bildung- und Lernprozesse
  • Zusammenarbeit mit Eltern
  • Zusammenarbeit im Team
  • Konzeption und Organisation weiterentwickeln
  • Zusammenarbeit im Sozialraum

In der Schlussfolgerung schreiben Schelle und Friedrich der inklusiven Frühpädagogik grundsätzlich ein großes Potenzial für die Weiterentwicklung der pädagogischen Qualität und auch der Organisationsentwicklung in der KiTa zu, warnen aber zugleich vor einigen Stolperfallen.

Konzept der Inklusion

Das mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention im Jahr 2006 auch für Deutschland verbindliche Konzept der Inklusion zielt auf die Schaffung einer inklusiven Gesellschaft und auf die Anerkennung aller Unterschiede von Menschen. Dies entspricht auch den allgemeinen Menschenrechten und den deutschen Grundrechten. Wie Schelle und Friedrich ausführen, kommt bei dieser Herausforderung der KiTa als erster Stufe des Bildungssystems eine zentrale Rolle zu: „In der Kindertageseinrichtung werden Teilhabechancen für alle Kinder geschaffen, die nachhaltige Effekte auf die gesamte Bildungskarriere nach sich ziehen können“ (S. 68) – Voraussetzung sei allerdings eine hohe pädagogische Qualität.

Als Meilenstein der inklusiven Frühpädagogik verweisen die AutorInnen auf Annedore Prengel, die einen ersten theoretischen Zugang geschaffen und Anknüpfungspunkte an bereits bestehende Konzepte aufgezeigt habe wie z.B. Situationsansatz, Reggio- oder Montessoripädagogik. Ausgangspunkt des Inklusionskonzeptes sei bei ihr die vorbehaltlose Anerkennung von Heterogenität, was in der Konsequenz bedeute, dass Unterschiede von Kindern nicht mehr zu Benachteiligungen im Bildungssystem führen dürften. Dazu müssten auf institutioneller, beziehungs-, didaktischer und professioneller Ebene Barrieren und Ausschlussfaktoren analysiert werden. Voraussetzung für die gegenseitige Anerkennung und Wertschätzung von Individuen „ist jedoch die explizite Auseinandersetzung mit der Heterogenität und die Entwicklung von Sensibilität für exkludierende Situationen“ (ebd. S. 69).


Qualität und Stand der Forschung

Mit Bezug auf die von Prof. Dr. Wolfgang Tietze geleiteten „NUBBEK-Studie“ konstatieren die AutorInnen in deutschen KiTas eine derzeit nur mittelmäßige Qualität und fragen, ob die Umsetzung einer inklusiven Pädagogik als Motor der Qualitätsentwicklung dienen kann. Empirische Forschungsergebnisse existierten dazu allerdings noch nicht, erste positive Hinweise fänden sich aber in Erfahrungsberichten von KiTas, die ihre Organisation mittels des „Index für Inklusion“ weiter entwickelt hätten. Ebenfalls positive Rückschlüsse ließen sich aber auch aus der Integrationsforschung ziehen. Eine dezidierte Beantwortung der Frage setze jedoch die Entwicklung geeigneter Instrumente zur Qualitätsmessung inklusiver Tagesstätten im deutschsprachigen Raum voraus, welche die Inklusion als Querschnittsaufgabe in allen unterschiedlichen Dimensionen pädagogischer Qualität berücksichtigten.

Frühpädagogische Schlüsselprozesse

In der Folge beleuchten Schelle und Friedrich sechs frühpädagogische Schlüsselprozesse, deren Qualität sich durch die Umsetzung inklusiver Konzepte verbessern könnten:

1. Individuelle Bildungs- und Lernprozesse
Gemäß dem Ziel inklusiver Frühpädagogik jedem Kind die Entwicklung seiner einzigartigen Identität zu ermöglichen, „muss jedes mit seinen individuellen Voraussetzungen, Ressourcen und Kompetenzen in Zusammenhang mit seiner jeweiligen Lebenssituation wahrgenommen werden“ (ebd. S. 72). Anknüpfungspunkte für die Gestaltung pädagogischer Arbeit seien die Interessen und Bedürfnisse des Kindes, die wiederum mit den differenzierten Bildungsbereichen der Bildungs- und Orientierungspläne zu verknüpfen seien. Annedore Prengels Forderung, ausgewählte Elemente eine Kerncurriculums stufenförmig aufzufächern, biete dabei die Möglichkeit passgenauer pädagogischer Angebote, „die es dem Kind ermöglichen, an Bekanntes anzuknüpfen und Neues zu entdecken“ (ebd.).

2. Kooperative Bildungs- und Lernprozesse
Als ebenso bedeutsam wie die individuelle Bildungsbegleitung führen Schelle und Friedrich die Gestaltung von Gruppenprozessen an und markieren Peer-Beziehungen als „eine entscheidende Entwicklungsressource für Kinder“ (ebd. S. 73) z.B. Im Hinblick auf das soziale Verhalten. Die Dynamik solcher Peer-Interaktionen dürfe dabei nicht den Kindern alleine überlassen werden, denn auch hier könnten exkludierende Situationen entstehen. Notwendig sei es daher, dass kompetenten Fachkräfte die Peer-Interaktionen „beobachten und begleiten, Anregung geben und moderieren“ (ebd.).

3. Zusammenarbeit mit Eltern
Da ohne Zusammenarbeit mit Eltern eine bestmögliche individuelle Entwicklung und Bildung von Kindern in der KiTa nicht möglich ist, setzt inklusive Frühpädagogik Schelle und Friedrich zufolge „Interesse gegenüber heterogenen Familienkulturen und den damit verbundenen unterschiedlichen Einstellungen gegenüber Kindheit und Erziehung sowie unterschiedlichen Lebenslagen bzw. Lebensentwürfen und deren Wertschätzung voraus“ (ebd. S., 74). Nicht nur für Kinder, sondern auch für Eltern und Familien müssten Barrieren für die Teilhabe erkannt und systematisch verringert werden.

4. Zusammenarbeit im Team
Wie Schelle und Friedrich ausführen, kann die Entwicklung zu einer inklusiven KiTa nur gelingen, „wenn alle relevanten Themen auf der institutionellen, didaktischen sowie interaktiven Ebene systematisch im Team geplant, umgesetzt und reflektiert werden“ (ebd. S. 74). Dazu gehöre auch ein offener Diskurs über die Unterschiedlichkeit der MitarbeiterInnen und das Erleben der Unterschiedlichkeit als Bereicherung (z.B. auch im Hinblick auf multiprofessionelle Teams).

5. Konzeption und Organisation weiterentwickeln
Als wichtigen Baustein der Organisationsentwicklung stellen Schelle und Friedrich die Verschriftlichung der pädagogischen Zielsetzungen und Abläufe sowie die gemeinsame Reflexion und Weiterentwicklung der pädagogischen Grundhaltungen im Team dar. Die gesamte Organisationsstruktur müsse sich an die Umsetzung inklusiver Konzepte anpassen und Offenheit für heterogene Bedürfnisse bieten. Grundsätzlich erfordere die Umsetzung inklusiver Konzepte „eine systematisch wiederkehrende Überarbeitung der schriftlichen Konzeption, da diese in hohem Maße von Veränderungen im Umfeld abhängig ist“ (ebd. S. 75).

6. Zusammenarbeit im Sozialraum
Als „Kontextqualität“ wird der sozialräumlichen Vernetzung und der Kooperation schon länger eine hohe Bedeutung zugesprochen. In besonderer Weise, so die AutorInnen, gelte das für die Umsetzung einer inklusiven Frühpädagogik z.B. im Hinblick auf externe Unterstützungssysteme wie TherapeutInnen, Fachdienste usw. (vgl. ebd. S. 76).

Stolpersteine und Herausforderungen

Es liegt auf der Hand, muss aber immer wieder betont werden und so tun es auch Schelle und Friedrich: Inklusive Frühpädagogik kann ohne entsprechende finanzielle und personelle Ressourcen nicht umgesetzt werden!
Ebenso könne Inklusion nicht von oben verordnet werden, sondern bedürfe einer intensiven Auseinandersetzung und Reflexion im Team unter Einbeziehung von Eltern, Kindern und Träger. Dauerhaft müsse den pädagogischen MitarbeiterInnen die Möglichkeit gegeben werden, durch geeignete Qualifizierungsmaßnahmen ihre inklusiven Kompetenzen (weiter) zu entwickeln.
Grundsätzlich sei die Entwicklung einer inklusiven Kultur „ein Prozess, der nie abgeschlossen sein wird“ und der sich „durch reflexive Weiterentwicklungen stets wiederholen muss. Entscheidender Faktor ist, dass für Austausch, Reflexion und Planung im Team ausreichend Zeit bleibt.“ (ebd. S., 77)