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Naturwissenschaftliche Bildung in der Kita

Naturwissenschaften begegnen Kindern (und Erwachsenen) in vielen Situationen. Das können Situationen sein, in denen ein naturwissenschaftliches Phänomen direkt erkennbar ist, z.B. das Donnern und Blitzen beim Gewitter, oder aber Situationen, in denen das Phänomen weniger auffällig ist, z.B. dass sich die Holzbank in der Sonne wärmer anfühlt als die Steinbank. Viele Situationen können Kinder anregen, sie genauer zu explorieren, z.B. wie man (s)einen Schatten größer und kleiner machen kann oder wann die Schnecke ihre Fühler reinzieht.

Naturwissenschaften begegnen uns also in sehr vielen Situationen, und viele Kinder beschäftigen sich in solchen Situationen mit naturwissenschaftlichen Phänomenen, ohne dass diese als naturwissenschaftliche Lerngelegenheit angelegt sind. Naturwissenschaftliche Phänomene bieten einen Anknüpfungspunkt für die kindliche Neugier. Dies ist allerdings kein Automatismus.

Nicht jedes Kind nimmt gerade versteckte und wenig spektakuläre Phänomene wahr, stellt Fragen dazu oder exploriert Dinge. Das heißt, nicht jedes „naturwissenschaftliches Ereignis“ ist automatisch eine Lerngelegenheit. Oft braucht es Impulse, um Kinder anzuregen, etwas zu beobachten und zu erkunden. Hier kommt Erwachsenen oder auch anderen Kindern eine wichtige Rolle zu.
In diesem Beitrag sollen zunächst die Ziele naturwissenschaftlicher Bildung skizziert werden, bevor dann auf die Unterstützung naturwissenschaftlicher Bildungsprozesse eingegangen wird.

Ziele naturwissenschaftlicher Bildung in der Kita

Bildungsprozesse zielen darauf ab, Kindern erste Erfahrungen im Bereich der belebten und unbelebten Natur zu ermöglichen und Neugierde und Motivation und erste grundlegende Kompetenzen über alltagsnahe Inhalte anzuregen. Zur naturwissenschaftlichen Bildung gehören aber nicht nur inhaltsbezogene Kompetenzen, sondern auch die Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen, mit denen naturwissenschaftliche Erkenntnisse generiert werden, z.B. das Beobachten und Messen, das Vermuten, das Überprüfen oder auch das Schlussfolgern und Revidieren von Vermutungen.

Für die Teilhabe an einer von Naturwissenschaften stark geprägten Gesellschaft, also die kritische-konstruktive Auseinandersetzung mit relevanten Themen und die dazugehörige Meinungsbildung, wird das Wissen über das Vorgehen in den Naturwissenschaften und über Charakteristika von naturwissenschaftlichem Wissen als besonders wichtig angenommen. Nicht zuletzt in der Corona-Pandemie ist die Bedeutung eines Verständnisses des Vorgehens in den Naturwissenschaften und auch von der Beschaffenheit naturwissenschaftlichen Wissens, z.B. die Revidierbarkeit oder Unsicherheit von naturwissenschaftlichem Wissen, sehr deutlich geworden.

Naturwissenschaftliche Grundbildung wird für die verschiedenen Bildungsstufen entsprechend als ein mehrdimensionales Konstrukt beschrieben (OECDOECD||||| OECD beinhaltet die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und besteht aus 34 Mitgliedsstaaten, die sich der Demokratie und Marktwirtschaft verpflichtet fühlen. Die Organisation wurde 1961 gegründet und hatte den Wiederaufbau Europas als Ziel.  2016; Steffensky 2017), das Kompetenzen über Inhalte, Vorgehensweisen und motivationale Orientierungen wie Interesse und Motivation sowie ein naturwissenschaftsbezogenes Selbstkonzept umfasst. Entsprechende Aspekte finden sich auch in unterschiedlichen Formulierungen in den Bildungs- und Orientierungsplänen des Elementarbereichs, in denen die Naturwissenschaften als ein Bildungsbereich verankert sind.

Trotzdem bleibt es schwierig, auf einer konkreten Ebene zu entscheiden, inwiefern Inhalte oder Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen sich als Lerngegenstände für jüngere Kinder eignen und vor allem, wie vertieft sie bearbeitet werden können und sollen. Hinsichtlich der Auswahl lässt sich sagen, dass viele Phänomene für Kinder spannend sind, obwohl sie sie nicht vollständig durchdringen können. Beispielsweise fasziniert viele Kinder die An- und Abstoßung zwischen Magneten, die sie beispielsweise beim Spielen mit einer Holzeisenbahn entdecken.

Die (alleinige) Einführung des Polbegriffs (Nord- und Südpol) ist aber zur Erklärung wenig hilfreich, weil sie sehr abstrakt bleibt. Zudem führt sie manchmal zu Verwechslungen mit den Plus- und Minus-Polen von Batterien oder dem geographischen Nord- bzw. Südpol, was für spätere Lernprozesse eher hinderlich ist.

Hier ist es für Kinder hilfreicher, das Phänomen gründlich zu erfahren und herauszufinden, dass je nachdem, welches Wägelchen der Eisenbahn man kombiniert, es zu einer Anziehung und Abstoßung kommt, und zu untersuchen, ob das bei anderen Magneten auch so ist und zu entdecken, dass es das Phänomen der Abstoßung nur zwischen Magneten gibt, aber nicht zwischen Magneten und Gegenständen, die angezogen werden, z.B. eine Büroklammer.

Es stellt sich also weniger die Frage, ob ein bestimmtes Phänomen oder Thema generell geeignet ist, sondern eher, welche Erfahrungen, Begriffe, Konzepte für Kinder dabei wichtig sind und welche Teile in späteren Lerngelegenheiten in der Schule besser platziert sind.

Auch wenn es einen allgemeinen Konsens darüber gibt, dass frühe Bildung keine schulischen Inhalte vorziehen sollte, ist es sehr unterschiedlich, auf welchem fachlichen Niveau Bildungspläne und didaktische Materialien für die Kita ansetzen. Stark vereinfacht gibt es dabei Ansätze, die den Schwerpunkt auf Erfahrungen setzen und solche, die konkrete Themen benennen, zu denen Kinder Kompetenzen entwickeln sollen. Ein Blick in den Bildungsplan von Sachsen-Anhalt zeigt z.B. eine beeindruckende Sammlung von vielfältigen Naturerfahrungen, die Kinder mit Wasser, Luft, Feuer, Erde und Tieren machen können, z.B. „Kinder zerbröseln trockene Erde, lassen Sand durch ihre Finger rieseln, kneten Ton, schichten Steine übereinander und werfen mit Lehmklumpen“ (Ministerium für Arbeit und Soziales des Landes Sachsen-Anhalt 2014).

Im bayerischen Bildungsplan werden konkrete Bildungsziele genannt wie „Eigenschaften verschiedener Stoffe kennen lernen: Dichte und Aggregatzustand“ (Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung 2012). Beide Ansätze lassen sich (mehr oder weniger) den übergeordneten Zielen früher naturwissenschaftlicher Bildung zuordnen (Naturerfahrungen und grundlegende Kompetenzen), beides ist aber gleichzeitig recht unterschiedlich und geht mit gewissen Schwierigkeiten einher, die hier skizziert werden sollen.

Naturerfahrungen und naturwissenschaftliche Grundbildung

Naturerfahrungen sind aus verschiedenen Perspektiven immens wichtig für verschiedene Entwicklungsbereiche, z.B. motorische Kompetenzen und auch für die Anregung von Kreativität und Fantasie, weil Kinder mit weniger Dingen als in der Kita Spiele entwickeln müssen. Die Natur ist eine aktivierende Lernumgebung mit hohem Aufforderungscharakter. Erfahrungen mit der Natur sind wie oben beschrieben ein wichtiger Teil naturwissenschaftlicher Grundbildung. Sie sind aber nicht vollständig gleichzusetzen mit naturwissenschaftlicher Grundbildung. So ist manche, aber eben nicht jede Naturerfahrung eine Gelegenheit, sich mit Naturwissenschaften zu beschäftigen.

Spielen Kinder draußen und machen Suppe aus Gras und formen Klöße aus Matsch, dann liegt ihr Fokus nicht auf der Beobachtung, dass sich Gras nicht in Wasser löst etc. Sie lernen stattdessen vielleicht, sich so in der Gruppe zu organisieren, dass sie sich abwechseln mit den Rollen Koch oder Köchin, Gast oder Kellner:in. Kinder können auch den Wind im Gesicht spüren, ohne dass sie das Phänomen bewegte Luft damit assoziieren. Die Idee, dass man Kindern nur Naturerfahrungen ermöglichen muss, um naturwissenschaftliche Bildungsprozesse anzuregen, ist zu vereinfacht.

Auf die Frage, was macht Ihre Kita im Bereich der Naturwissenschaften, erhält man nicht selten die Antwort „Wir gehen viel raus, bei uns in der Nähe ist ein Bach, Wald, Strand…“. Das deutet darauf hin, dass diese Idee Naturerfahrung = naturwissenschaftliche Grundbildung durchaus verbreitet ist. Hinzu kommt, dass wie eingangs erwähnt nicht jedes Kind anfängt, Fragen zu stellen und Dinge zu explorieren. Um einen „naturwissenschaftlichen Blick“ auf die Welt zu werfen und Fragen zu stellen, brauchen Kinder Lerngelegenheiten.

Insbesondere Kinder mit Bildungsrisiken, z.B. niedriger Bildungsabschluss der Eltern, die in der Regel weniger naturwissenschaftliche Lernaktivtäten zuhause erleben (Junge et al. 2021), brauchen oft eine gezielte Unterstützung, damit aus einer Naturerfahrung oder einer naturwissenschaftlichen Alltagssituation eine naturwissenschaftliche Lerngelegenheit wird. Fragen stellen, genau hinschauen, Dinge ausprobieren und sich über Beobachtungen und Ideen mit anderen auseinandersetzen, muss also manchmal erst angeregt werden. Das ist kein Plädoyer dafür, dass Naturerfahrungen immer unter dem naturwissenschaftlichen Fokus betrachtet werden müssen. Sie haben ohne Zweifel eine wichtige Bedeutung in vielen Entwicklungsbereichen. Wenn es darum geht, Bildungs- und Entwicklungsprozesse im Bereich der Naturwissenschaften anzuregen, lohnt es sich genau hinzuschauen, wie viel Naturwissenschaften in den Naturerfahrungen steckt.

Unverstandene Inhalte

Betrachtet man dagegen die Benennung von konkreten Inhalten, lässt sich folgende Schwierigkeit ausmachen. So werden zum Teil Fachbegriffe und -konzepte herausgegriffen, die aus fachdidaktischer Sicht zu schwer sind für Kinder in der Kita, weil ihnen entsprechendes Vorwissen fehlt. Die Gefahr von unverstandenen Begriffen ist so recht groß, was hinderlich für die Entwicklung von Motivation und für weiteres Lernen ist (Naturwissenschaften sind eben nicht etwas, was man eigentlich gar nicht verstehen kann).

Die reine Benennung eines Inhaltsbereichs im Bildungsplan lässt natürlich offen, was Kinder hier genau kennen lernen sollen – zumal Bildungspläne in der Kita anders als in der Schule lediglich einen Orientierungsrahmen darstellen. Allerdings zeigt sich eine ähnliche Tendenz auch in manchen didaktischen Materialien für die Kita, wo Erklärungen angeboten werden, die vermutlich für die Kinder zu schwer sind. Dies soll am Beispiel der Dichte, die wie oben dargestellt im bayerischen Bildungsplan als eine Eigenschaft von Stoffen herausgegriffen wird, erläutert werden.

Die Dichte wird üblicherweise an den weiterführenden Schulen behandelt und ist als proportionale Größe (Masse pro Volumen) eher schwer zu verstehen. Es gibt viele andere Eigenschaften von Materialien (Stoffen), die zugänglicher sind wie Härte, Zerbrechlichkeit, Biegsamkeit, Oberflächenbeschaffenheit (weich, rau, kratzig, schimmernd…) etc.
Sicherlich kann man bei manchen Kindern erste Vorstellungen zur Dichte anbahnen. Beispielsweise können sie beobachten, das gleich große Würfel aus unterschiedlichen Materialien wie Metall und Styropor unterschiedlich schwer sind und somit eine erste Idee bekommen, dass Materialien unterschiedlich schwer sind.

Es ist aber schwierig, weil man die gleiche Größe (Volumen) dabei berücksichtigen muss. Der Begriff Dichte, der anschaulich ist, wenn man die Größe versteht, ist im Alltag kaum gebräuchlich, sodass man sich fragt, was Kinder davon haben, wenn sie ihn lernen. Das ist anders bei vielen alltagsnahen Fachbegriffen wie fest, flüssig, schmelzen, Metall, Schnabel, Nest, Feder, bei denen auf Grund ihrer Bedeutung in vielen Kontexten das Erlernen sofort einleuchtet.

Bei manchen Begriffen eignen sich Umschreibungen besser. So ist der Begriff „gasförmig“ schwer und ungebräuchlich für Kinder, die Umschreibung „wie Luft“ dagegen (für viele Kinder) geeigneter. Gleichwohl ist der im bayerischen Bildungsplan aufgeführte Inhaltsbereich „Eigenschaften von Stoffen“ zentral, weil Kenntnisse über Stoffe für viele Phänomene der Naturwissenschaften erklärungsmächtig sind. Für Kinder, die in der Regel mit fünf bis sechs Jahren beginnen zu erkennen, dass Gegenstände aus verschiedenen Materialien wie Holz, Metall, Kunststoff bestehen, manche Gegenstände aus verschiedenen Materialien bestehen können (der Teller aus Porzellan oder Holz oder Pappe) und es spezifische Eigenschaften des Gegenstands (der Teller hat eine flache Form) und des Materials (Porzellan ist zerbrechlich) gibt, sind das zentrale Lernschritte. Nur die hier – vermutlich etwas zufällig ausgewählte Dichte – eignet sich weniger gut. Das mag spitzfindig klingen, aber aus fachdidaktischer Perspektive kommt es eben sehr genau auf den konkreten Lerngegenstand und die Begrifflichkeiten an.

Das reine Aufführen von Begriffen stellt, wie das Beispiel zeigt, möglicherweise auch eine Schwierigkeit für pädagogische Fachkräfte dar, die in der Regel in der Aus- und Fortbildung nur wenige Kurse im Bereich der Naturwissenschaften und vor allem der Naturwissenschaftlichen Bildung belegen (Barenthien et al. 2020). So ist die Rekonstruktion zentraler Lerngegenstände und altersangemessener Erklärungen, die Kinder (ggf. mit Unterstützung) selbst entwickeln können, eine große Herausforderung, wenn lediglich ein Inhaltsbereich genannt wird. Auch das Erkennen von naturwissenschaftlichen Phänomenen im Alltag ist für viele pädagogischen Fachkräfte eher schwierig.

Umso wichtiger sind Aus- und langfristig angelegte Fortbildungsprogramme, die Fachkräfte dabei unterstützen, naturwissenschaftliche Bildungsprozesse gut zu begleiten und unterstützen.

Unterstützung natur-wissenschaftlicher Bildungsprozesse

Entscheidend für naturwissenschaftsbezogene Entwicklungsprozesse ist neben den individuellen Voraussetzungen des Kindes die Qualität der Lernumgebungen. Die Qualität wird dabei in vielen Ansätzen durch globale Merkmale wie Gruppenführung oder ein positives Klima sowie stärker bereichs- und inhaltsspezifische Merkmale wie kognitiv anregende Interaktionen beschrieben, die sich in vielen Studien als bedeutsam für kognitive, soziale und emotionale Entwicklungsprozesse erwiesen haben (u.a. Pianta & Hamre 2009). Der Fokus liegt hier auf den kognitiv anregenden Interaktionen, bei denen Kinder mit herausfordernden Materialien, Impulsen, Fragen angeregt werden, über ihre Beobachtungen und Ideen nachzudenken, und sie gleichzeitig dabei unterstützt werden, die nächsten Lernschritte zu bewältigen (vgl. Vygotski 1978).

Beim naturwissenschaftlichen Lernen ist wie vorne beschrieben die physische Umwelt im Sinne von Phänomenen und Materialangeboten häufig der Ausgangspunkt einer individuellen Bedeutungserschließung. Ein wesentlicher Aspekt liegt aber in der gemeinsamen, ko-konstruktiven Auseinandersetzung und der entsprechenden Begleitung von Lernwegen. In der Frühen Bildung wird dabei oft auf das Konstrukt des „Sustained Shared Thinking“ (Siraj-Blatchford et al. 2002) rekurriert, bei welchem auf gemeinsame Aushandlungsprozesse fokussiert wird.

Zur Anbahnung anregender Interaktionen eignen sich offene Fragen nach Erfahrungen, Ideen, Denkweisen, Erklärungen und Begründungen oder das Aufmerksam machen auf Widersprüche sowie das Anregen von Vergleichen. Um die Komplexität der Lernumgebung so zu reduzieren, dass sie von möglichst vielen Lernenden genutzt werden kann, sind strukturierende Maßnahmen geeignet, z.B. das Hervorheben einzelner Aussagen im Gespräch oder die Fokussierung der Aufmerksamkeit.

Pädagogischen Fachkräften kommt dabei eine aktive Rolle zu, in der sie Bildungsprozesse beobachten, aber sich auch an geeigneten Stellen einbringen. Oft wird angenommen, dass eine aktive Rolle der pädagogischen Fachkraft mit einer passiven Rolle des Kindes einhergeht, dies sieht man aber im didaktischen DiskursDiskurs|||||Der Begriff Diskurs kann verschiedene Bedeutungen haben, wurde ursprünglich jedoch als  „hin und her gehendes Gespräch“ verwendet. Weitere Bedeutungen sind: theoretische Erörterung, systematische, methodische Abhandlung, gesellschaftliche Auseinandersetzung, Erörterung. Sinnverwandt sind auch Debatte, Diskussion, Disput.  anders. Eine aktive Rolle der pädagogischen Fachkraft bedeutet nicht, dass die Fachkraft Kindern Erklärungen „überstülpt“, sie unterstützt sie dabei, diese selbst zu entwickeln. Das starke sich Zurücknehmen von pädagogischen Fachkräften mag in manchen Situationen sinnvoll sein, es besteht aber auch die Gefahr, dass das Potential von Lernumgebungen nicht ausgeschöpft wird.

Wie bei den Naturerfahrungen ist dies gerade für Kinder aus anregungsärmeren Umfeldern problematisch. Angesicht des in der Kita (und Schule) bekannten Zusammenhangs zwischen Kompetenzen und sozialer Herkunft, der sich auch im Bereich der Naturwissenschaften feststellen lässt (Hahn & Schöps 2019), erscheint daher die Unterstützung von Bildungsprozessen insbesondere für Kinder mit Bildungsrisiken besonders wichtig.

Die aufgeführten Merkmale der anregenden Interaktionen sind Bildungsbereich übergreifend. So sind Fragen nach eigenen Ideen und Denkweisen oder das Einfordern von Begründungen in allen Bildungsbereichen wichtig. Sie müssen aber an den jeweiligen Lerngegenstand angepasst werden, z.B. indem nach Ideen und Begründungen an für das Lernen wichtigen Stellen gefragt wird.
Auch die Frage nach der Eignung eines ausgewählten Versuchs und von Beispielen zur Veranschaulichung des Lerngegenstands lässt sich nur aus einer bereichsspezifischen Perspektive beantworten. Das macht die Bedeutung eines grundlegenden fachlichen und fachdidaktischen Wissens für pädagogische Fachkräfte deutlich.

Im naturwissenschaftlichen Kontext kommt insbesondere der Berücksichtigung von Vorstellungen eine besondere Rolle zu, weil Kinder (wie Erwachsene auch) zu beobachtbaren Phänomenen wie Lebewesen, Schatten, Verbrennung oder dem Trocknen einer Pfütze eigene Erklärungen entwickeln, die nicht unbedingt den wissenschaftlichen Konzepten entsprechen. Oft sind diese Vorstellungen tief verankert, da sie sich in vielen Alltagssituationen als verständlich und erklärungsmächtig erwiesen haben (Vosniadou 2008).

Beispielsweise nehmen Kinder oft an, dass alles, was leicht oder flach ist, schwimmt, dass an einem Magneten ein Klebstoff ist oder bei einem Lösungsvorgang das Salz oder der Zucker im Wasser vollständig verschwinden. Diese Vorstellungen sind durchaus plausibel, weil viele leichte Dinge auf dem Wasser schwimmen, Kinder Klebstoff kennen, unsichtbare Anziehungskräfte aber nicht bzw. Zucker und Salz ja tatsächlich nicht mehr zu sehen sind. Auch Sprache spielt hier eine wichtige Rolle. So sagen wir, dass der Mond und die Sonne auf- und untergehen, was die Bewegung von Mond und Sonne und nicht die der Erde impliziert.

Oft liegen auch mehrere Vorstellungen parallel vor und Kinder argumentieren widersprüchlich, z.B. die Nadel schwimmt, weil sie leicht ist und der große Baumstamm schwimmt, weil er aus Holz ist. In den Conceptual-Change-Theorien wird naturwissenschaftliches Lernen deswegen nicht nur als Erwerb von neuem Wissen, sondern auch als Veränderung im Sinne von Erweiterungen, Differenzierungen oder Umstrukturierungen von vorhandenen Vorstellungen zu zunehmend wissenschaftlich begründeteren Konzepten beschrieben (Schneider et al. 2012). Diese Veränderungen sind in der Regel ein langwieriger Prozess, der sich oft über die verschiedenen Bildungsetappen erstreckt.

Frühes naturwissenschaftliches Lernen zielt nicht darauf ab, alltagsnahe Vorstellungen durch wissenschaftliche Vorstellungen zu ersetzten. Vielmehr geht es darum, Vorstellungen bewusst zu machen und an ausgewählten Bereichen ihre Erklärungsmächtigkeit in Frage zu stellen. Beispielsweise können Kinder ausprobieren, was passiert, wenn man eine Nadel (leicht) aus Metall unter Wasser drückt, und so erkennen, dass ihre intuitive Annahme, dass alles, was leicht ist, schwimmt, nicht immer gültig ist. Wenn Kinder die Vermutung äußern, dass etwas Klebriges am Magneten ist, können sie überlegen, wie man das überprüfen kann.

Typische Vorschläge sind z.B. den Klebstoff abwaschen oder den Magnet in Frischehaltefolie packen und dann schauen, ob er trotzdem einen Gegenstand anzieht. Um der Vorstellung, dass der Zucker oder das Salz verschwinden, entgegenzutreten, kann man beobachten, was passiert, wenn man die Lösung eine Zeit lang stehen lässt bzw. erwärmt. Dies sind Beispiele für Gelegenheiten, diese tief verankerten Vorstellungen bewusst zu machen und die eingeschränkte Erklärungsmächtigkeit zu entdecken. Für naturwissenschaftliche Bildungsprozesse sind sie von enormer Bedeutung. Gleichzeitig sind sie sehr motivierend für Kinder, weil sie neugierig machen und Kindern die Möglichkeit geben, ihre Erklärungen weiterzuentwickeln.

Fast immer reicht es nicht, ein Gegenbeispiel wie die sinkende leichte Nadel zu sehen, um die Vorstellung „alles was leicht ist, sinkt“ zu verwerfen. Deshalb ist es wichtig, Phänomene in unterschiedlichen Situationen wiederzuentdecken. Das Phänomen, dass Salz in Wasser scheinbar verschwindet, aber noch da ist, kann man in einem Versuch sehen, aber auch beim Kochen beobachten, wo sich manchmal Reste von Salz im Topf zeigen. Es zeigt sich auch beim Baden in Salzwasser, wo vielleicht Salzreste am Arm sichtbar werden oder die Haut salzig schmeckt. Im Winter sieht man manchmal Salzränder an den Schuhen (die können aus (Streu-)Salz in Schnee oder wahrscheinlicher aus Salzen im Leder kommen, die dort durch die Feuchtigkeit herausgelöst werden).

Für Kinder ist es nicht so leicht, den Zusammenhang zwischen diesen oberflächlich sehr unähnlichen Situationen zu erkennen. Wichtig für die Unterstützung von Bildungsprozessen ist deswegen das Anregen von Vergleichen, indem Fragen gestellt werden wie „Hast Du das schon mal gesehen, was ist ähnlich, was ist hier anders?“ Dieses Vorgehen hilft ihnen, das Phänomen in weiteren Situationen zu entdecken.

Eingangs wurde beschrieben, dass Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen eine weitere zentrale Komponente naturwissenschaftlicher Bildung sind. Für ein Verständnis von Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen reicht es nicht aus, sie zu verwenden, also z.B. etwas zu beobachten, sondern es bedarf expliziter Lerngelegenheiten, in denen z.B. Kinder herausfinden, mit welchen Sinnen man alles beobachten kann (oft haben sie die Idee, dass Beobachten nur mit den Augen geht). Das heißt, die Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen werden selbst zum Lerngegenstand. Dies geschieht in der Regel nicht im luftleeren Raum, sondern in der Verknüpfung mit Inhalten. Zentrale Fragen sind also nicht nur, was vermuten wir, was haben wir herausgefunden, sondern auch wie können wir etwas herausfinden bzw. wie haben wir etwas herausgefunden und gibt es noch andere Möglichkeiten, es zu überprüfen. Wie bei den Inhalten reicht ein Bespiel nicht aus, sondern Kinder entdecken die Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen in leicht variierenden Situationen immer wieder und bauen so sukzessive ein Verständnis aus.

Unbestritten ist, dass Naturwissenschaften für Kinder bei der Erkundung ihrer Umwelt, aber auch für sie als zukünftige Erwachsene, die an einer stark durch Naturwissenschaften und Technik geprägten Gesellschaft teilhaben, eine zentrale Rolle spielen. Dabei sind Erfahrungen und eine gemeinsame vertiefte Auseinandersetzung mit Phänomenen, sei es in Alltagssituationen oder in stärker vorbereiteten Bildungsangeboten, wichtig.

Ansätze, bei denen in der Kita jede Woche ein Versuch zu einem neuen Inhalt gemacht werden, sind dagegen wenig geeignet. Aber auch das reine in der Natur sein reicht nicht unbedingt aus, um naturwissenschaftliche Bildungsprozesse für alle Kinder zu initiieren.
Dies ist eine (der vielen) komplexe(n) Aufgaben in der Kita für die pädagogischen Fachkräfte, die dafür Vorbereitung und Unterstützung benötigen.



LITERATUR
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  • Vosniadou, S. (Hrsg.) (2008): International handbook of research on conceptual change.
  • Vygotski, L. S. (1978): Mind and society.

Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus
frühe kindheit 4-2021, S. 20-25


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