Die Forschungsstelle Entwicklung, Lernen und Kultur hat es sich zur Aufgabe gemacht, soziale, emotionale und kognitive Entwicklungsmuster und Lernprozesse in verschiedenen kulturellen Gruppen zu analysieren. Kultur bedeutet dabei nicht Land oder Gesellschaft, sondern wird durch soziodemographischsoziodemographisch|||||Soziodemographische Daten werden häufig in Sozialforschungen erhoben. Der Begriff, der Bevölkerungsmerkmale beschreibt, umfasst häufig Kategorien wie: Geschlecht, Alter, Familienstand, Religion, Schulabschluss, Nationalität, Haushaltsgröße etc.e Kontexte definiert, die durch die ökonomische Situation, das Ausmaß formaler Bildung und dem Familienmuster (Alter bei Geburt des ersten Kindes; Anzahl der Kinder) gebildet werden. In einem zweiten Schritt entwickelt sie auf der Grundlage ihrer wissenschaftlichen Erkenntnisse Module für die Arbeit mit Familien und Institutionen, die dem Paradigma der differentiellen Entwicklungsforschung verpflichtet sind.

In Lehrbüchern der Entwicklungspsychologie, der Pädagogik und der Erziehungswissenschaften wird das Menschenbild eines selbstverantwortlichen, aktiven und selbstbestimmten Individuums dem fachlichen DiskursDiskurs|||||Der Begriff Diskurs kann verschiedene Bedeutungen haben, wurde ursprünglich jedoch als  „hin und her gehendes Gespräch“ verwendet. Weitere Bedeutungen sind: theoretische Erörterung, systematische, methodische Abhandlung, gesellschaftliche Auseinandersetzung, Erörterung. Sinnverwandt sind auch Debatte, Diskussion, Disput.  zugrunde gelegt. Entwicklungs‐ und Bildungsprozesse sind an diesem Menschenbild ausgerichtet. CurriculaCurricula|||||Ein Curriculum ist ein Lehrplan, Modulplan oder Lehrprogramm, das Aussagen über Lehrziele und Ablauf des Lehr- Lern – Arrangement gibt und auf einer Didaktik aufbaut. tragen diesem Menschenbild Rechnung und Entwicklungsabweichungen werden auf dieser Grundlage bestimmt. Dieses Menschenbild ist historisch gesehen eine sehr junge Entwicklung und an die sozioökonomischen Bedingungen gekoppelt, die für die Mittelschicht der westlichen Welt charakteristisch sind. Inzwischen gibt es wissenschaftlich fundierte alternative Konzeptionen, die für das Selbstverständnis der Mehrheit der Weltbevölkerung angemessener sind.


Die wissenschaftliche Herausforderung besteht nun in der Schaffung einer breit angelegten internationalen Datenbasis, um kulturspezifische Entwicklungsprozesse zu beschreiben, zu erklären und vorherzusagen. Die bildungspolitischen Herausforderungen bestehen darin, diese neuen Erkenntnisse in die Praxis der Institutionen zu transportieren und in Curricula umzusetzen.


Dazu sind die folgenden Schritte erforderlich:

  • Identifikation kultureller Modelle

Die grundlegenden und panhumanen Themen der Autonomie und der Relationalität
werden in unterschiedlichen soziodemographischen Kontexten unterschiedlich ausgelegt und unterschiedlich betont. Dazu gehört auch, dass die vertikalen – historischen – wie auch die horizontalen – z.B. Kontextwechsel durch Migration – Veränderungen in ihrer Systematik erfasst werden. Aus dem jeweiligen Zusammenspiel von Autonomie und Relationalität sind Sozialisationsziele ableitbar, die in grundsätzlichen Beziehungen mit Sozialisations– und Erziehungsstrategien stehen. Es ist ein zentrales Anliegen der Forschungsstelle Entwicklung, Lernen und Kultur, die vorhandenen Kenntnisse zu bündeln und zu erweitern.

  • Systematisierung der Entwicklungswissenschaften anhand kultureller Modelle

Entwicklungs‐, Lern‐ und Informationsverarbeitungsprozesse unterscheiden sich inhaltlich und formal je nach dem vorherrschenden kulturellem Modell. Eingebettet in normativnormativ|||||Normativ  bedeutet normgebend, somit wird etwas vorgeschrieben, dass Normen, Regeln oder ein „Sollen“ beinhaltet.e Vorstellungen sozialer Beziehungen und Interaktionen finden informelle und strukturierte Prozesse statt, die Entwicklungs‐ und Bildungsprozesse informieren. Die Vielfalt dieser Entwicklungspfade muss systematisch Eingang in die Entwicklungswissenschaften finden, um Lern‐ Lehr‐ und Entwicklungskontexte fair und optimal für die Heterogenität der 0‐3‐Jährigen zu gestalten.

  • Implementierung des neuen Wissenskorpus in den gesellschaftlichen Alltag.

Um diese differentielle Entwicklungswissenschaft zu etablieren müssen zunächst die
gesellschaftlichen Alltagsstrukturen analysiert werden. Neben den familiären Alltagspraktiken müssen dazu vor allem die Institutionen, in denen kleine Kinder entscheidende Erfahrungen sammeln, eingebunden werden. Dazu ist es z.B. notwendig, die kulturellen Modelle von Institutionen zu analysieren – dazu gehört neben den Rahmenrichtlinien, die physische Umwelt (z.B. welche Bilder hängen an den Wänden, wie ist die Einrichtung räumlich gegliedert), die Gestaltung des Alltags (z.B. wie sehen Mahlzeiten aus, wie werden Geburtstage gefeiert) und die Vorstellungen von ErzieherInnen über Entwicklung, Erziehung und Bildung sowie deren Verständnis ihrer Aufgaben. Auf dieser Grundlage müssen eine Vielzahl von Programmen entwickelt werden, die Elternhaus und Institution zu einem komplexen Netzwerk integrieren.

In ihrem Jahresbericht dokumentiert die Forschungsstelle ihre aktuellen Forschungs- und Transferprojekte sowie auch schon erste Ergebnisse.

Jahresbericht