Kindlicher Stress, erwachsenes Wohlbefinden und pädagogische Qualität in Kitas

Zusammen denken, was zusammengehört

Inhaltsverzeichnis

  1. Entwicklung von Stressreaktionsmustern in der Kindheit
  2. Mögliche Folgen von belastenden Lebensumständen und Stress auf das kindliche Körper-Geist-System
  3. Stress ist nicht gleich Stress
  4. Das Prinzip der Ko-Regulation
  5. Wie der erwachsene Körperzustand das kindliche Bindungsverhalten beeinflusst
  6. Kindliches Wohlbefinden als Indikator für pädagogische Qualität
  7. Selbstfürsorge ist auch Kinderschutz
  8. Erwachsenes Wohlbefinden als Voraussetzung für pädagogische Qualität
  9. Fazit
  10. Quellen

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Wie der erwachsene Körperzustand das kindliche Bindungsverhalten beeinflusst

Ko-Regulation geschieht unbewusst und ständig, ob wir es beabsichtigen, oder nicht. In einem Zustand von Anspannung, Unsicherheit, Wut oder Angst zeigt der Körper eine erhöhte Atemfrequenz, einen schnelleren oder ungleichmäßigen Herzschlag, eine erhöhte oder gesenkte Körpertemperatur, eine erhöhte Stresshormonausschüttung, eine eher hohe und /oder laute Stimme, einen angespannten oder ausdruckslosen Gesichtsausdruck und eine angespannte oder zusammengesunkene Körperhaltung. Auch solch ein Zustand wirkt auf das Gegenüber: Bei Angst und Stress vermindert sich die Resonanzfähigkeit zwischen zwei Personen erheblich, weil sich die Signalrate der Spiegelneurone massiv reduziert (Rosa 2023). Es gibt also starke körperbezogene, oder besser „verkörperte“ Einflüsse auf Interaktionen, auf die u.a. Storch und Kolleg*innen immer wieder hinweisen (z.B. Storch et al. 2022, Theiss & Storch 2016, Storch & Tschacher 2014). Mit dem Begriff „Embodiment“ wird der Tatsache Rechnung getragen, dass alle psychischen und emotionalen Vorgänge körperlich eingebettet sind: Veränderungen des Körperzustandes führen immer auch zu Veränderungen des psychischen und emotionalen Zustandes – gleiches gilt andersherum. Kinder reagieren Aufgrund ihrer Abhängigkeit von erwachsenen Bezugspersonen besonders empfindlich auf deren körperliche und emotionale Verfassung und bemerken Veränderungen in deren Stimmung schnell (Maté 2023, Maywald 2023).
Wenn in solch einem Zustand Bindungsanfragen an die erwachsene Person gestellt werden, dann werden diese viel wahrscheinlicher nur unzureichend, unvorhersehbar und für das Kind unverständlich beantwortet. Wenn ihre Bindungsanfragen mit zurückweisendem Verhalten der Bindungsperson beantwortet werden, lernen Kinder schnell, ihre Apelle nach Nähe und Kontakt zu reduzieren. Bleibt ihr Bedürfnis nach Bindung und Unterstützung unbeantwortet, reagieren sie mit steigender Unsicherheit oder machen sich mit einem erhöhtem Aufmerksamkeitsbedürfnis, weniger Impulskontrolle oder weniger Bedürfnisaufschub bemerkbar (Kruse 2023). In solch einem Zustand sind Exploration und Lernen kaum möglich, da das Kind damit beschäftigt bleibt, sein elementarstes Grundbedürfnis nach Bindung zu sichern.

Auf physischer Ebene fallen die Stressantworten des Kindes ohne ko-regulierende Begleitung von Erwachsenen übermäßig stark aus oder halten länger an als notwendig. Aus einer Allostase kann dann eine allostatische (Über-)Last werden, deren Folgen bereits beschrieben wurden. Die Art und Weise, wie das kindliche Körper-Geist-System in den ersten Lebensmonaten und -jahren auf Stress reagiert, beeinflusst auch die Art und Weise, im jugendlichen und erwachsenen Alter effektiv mit Stress umzugehen (Loman & Gunnar 2010). Vor allem Kinder mit einem unsicheren Bindungsverhalten sind stressanfälliger und zeigen höhere Konzentrationen von Stresshormonen (National Scientific Council on the Developing Child 2014). „Ein feinfühliger, bedürfnisorientierter Umgang mit der nächsten Generation könnte dieser möglicherweise manchen Umweg über psychosomatische oder seelische Krisen ersparen, wie sie häufig als ‚Rauchmelder im System‘ auf chronischen Mangel im eigenen Bedürfnishaushalt hinweisen.“ (Scherwath 2021: 56).

Kinder, die in den vulnerablen ersten Lebensjahren fürsorgliche, verlässliche und vorhersehbare Beziehungen erleben, entwickeln sehr viel wahrscheinlicher gut funktionierende Körper-Geist-Systeme, die grundlegend für die kurz- und langfristige Gesundheit sind (National Scientific Council on the Developing Child 2020). Frühe Fürsorglichkeit und Wärme haben bis weit in das Erwachsenenalter anhaltende positive Auswirkungen auf die psychische Gesundheit und einen kausalen Einfluss auf die biochemische Fähigkeit junger Gehirne, in gesunder Weise auf Stress zu reagieren (Maté 2023).


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