Humor in der frühen Kindheit

Inhaltsverzeichnis

  1. Die Entwicklung des frühkindlichen Humors
  2. Humor, Emotion und Neurobiologie
  3. Humor und Spiel
  4. Fazit und Ausblick
  5. Literatur

Gesamten Beitrag zeigen

Im pädagogischen Bereich scheint noch oft ein gewisser Ernst zu herrschen, außer vielleicht bei den Kindern. Säuglinge und Kleinkinder lachen nämlich im Durchschnitt ungefähr 400 Mal am Tag, während Erwachsene nur annähernd 15 Mal dieses Vergnügen haben (vgl. Liebertz 2007, S. 11). Nicht umsonst spricht man auch vom „Ernst des Lebens“, wenn die Kinder in die Schule kommen. Aber woran liegt das? Muss pädagogische Arbeit wirklich ernst sein?

Humor: Entstehung und Entwicklung

Etymologisch gesehen kommt das Wort Humor aus dem Lateinischen und bedeutet Flüssigkeit (vgl. McGhee 1979, S. 4). In der Temperamenten-Lehre der altertümlichen und mittelalterlichen Medizin bis zur Renaissance wurde mit dem Begriff Humor jede der vier physiologischen Körperflüssigkeiten bezeichnet: Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle. Man ging davon aus, dass ihr Gleichgewicht oder Ungleichgewicht das Temperament bzw. die Laune einer Person beeinflusst (vgl. ebd, S. 5). War eine dieser Flüssigkeiten übermäßig vorhanden, konnte der Mensch zur Fröhlichkeit, Trägheit, Wut oder Niedergeschlagenheit neigen. Waren sie jedoch ausgeglichen, war eine Person in „good humor“ (ebd.).

Im folgenden Abschnitt werden mehrere Humortheorien vorgestellt. Im Anschluss wird die Entwicklung des frühkindlichen Humors genauer betrachtet, wobei auf die Phänomene des Lächelns und Lachens und danach auf das Stufenmodell nach Paul McGhee, der als Begründer der modernen Humorforschung gilt, eingegangen wird.

Theorien zur Erklärung des Humors

Die folgenden sechs Theorien zur Erklärung des Humors stammen aus verschiedenen Bereichen der Wissenschaft, überwiegend aus dem 20. Jahrhundert, obgleich sich Philosophen schon im griechischen Altertum mit dem Thema auseinandersetzten.

Geisteswissenschaftliche und philosophische Theorien
Für die Philosophen Platon und Aristoteles war der Humor mit Schadenfreude verwandt und sie verstanden ihn deshalb als „Inbegriff des Bösen im Menschen“ (Böhnsch-Kauke 2003, S. 17). Wie Platon und Aristoteles vertraten Thomas Hobbes und Theodor Lipps eine ähnliche Auffassung des Humors. Für sie äußerte sich das Lachen als Reaktion auf die festgestellte Unvollkommenheit anderer im Vergleich zu den überwundenen Fehlern und Schwächen des Lachenden (ebd., S. 18).

Für den französischen Soziologen Henri Bergson hingegen stellt das Lachen „eine Reaktion auf das Schauspiel der Unangepasstheit an das Leben“ (ebd., S. 18) dar. Wenn ein Mensch über Ungeschick lacht, liegt es laut Bergson an einer fehlenden körperlichen oder geistigen Anpassungsfähigkeit an die sich ständig verändernden Umstände (vgl. ebd, S. 12). Das unangepasste bzw. scheinbar mechanische Verhalten löst dann das Lachen bei den Beobachtenden aus. Alle diese Erklärungsansätze für den Humor sind einer Überlegenheits- bzw. Respektlosigkeitstheorie zuzuordnen.


Psycho-physiologische Theorien
Arousal-Theorien befassen sich mit dem Zusammenhang zwischen dem Humor und einer neuralen Aktivierung. Durch das Erzählen eines Witzes beispielsweise werden Nerven stimuliert und eine Spannung wird aufgebaut. Nach dem Psychologen Berlyne stellt dieser Prozess einen neuralen Anstieg („arousal boost“) dar und entspricht einer künstlich erzeugten Gefahrensituation (vgl. Janata 1998, S. 18). Wenn die Stimulation ein bestimmtes Niveau erreicht und die Person den Reiz als ungefährlich einschätzt, lacht sie, um diese Spannung zu verringern („arousal jag“).


Evolutionsbiologische Theorien
Diese Theorien vertreten die Auffassung, dass Lächeln und Lachen sich aus dem Zähnefletschen bei Tieren entwickelt haben. War das ursprünglich ein Zeichen für eine Verteidigungsmaßnahme bei einem Angriff, gelten heute diese beiden Gesichtsausdrücke als Signale für eine entspannte Situation, was dazu führt, dass Lachen und Humor als „ein Ersatz für eine tatsächliche Attacke“ gesehen werden können (vgl. Böhnsch-Kauke 2003, S. 27). Ein lachendes Gesicht signalisiert einem vermeintlichen Feind eine Entwarnung und erfüllt zugleich eine wohltuende Funktion für den Körper. Aus der evolutionsbiologischen Veranlagung des Lachens kann gefolgert werden, dass jeder Mensch ein angeborenes Potenzial zum humorvollen Agieren besitzt, wobei Anlage und Erfahrungen dessen individuelle Entwicklung unterschiedlich beeinflussen (vgl. Drews 2009, S. 41).


Soziologische und sozialpsychologische Theorien
Diese Ansätze betonen die sozial verbindende Funktion des Lachens und des Humors. Nach Sigmund Freuds Auffassung setzt der Humor eine dreigliedrige Konstellation voraus. Diese besteht aus einer erzählenden und einer zuhörenden Person sowie aus der „Zielscheibe“ (Böhnsch-Kauke 2003, S. 28) des humoristischen Prozesses. Diese Zielscheibe können sowohl die erzählende Person selbst als auch reale oder fiktive Individuen sein. Damit eine humorvolle Situation entsteht, müssen jedoch Erzähler/in und Zuhörer/in den gleichen oder zumindest einen naheliegenden Standpunkt zum Thema des Witzes teilen (vgl. ebd, S. 28).


Kognitionstheorien
Diese Theorien beschäftigen sich hauptsächlich mit den kognitiven Aspekten von Humor. Sie betonen, dass „die Wahrnehmung von Inkongruenzen eine zentrale Voraussetzung für Humoraktionen und das Erleben von Humor ist“ (Drews 2009, S. 39). Unter Inkongruenz wird eine Erwartungsverletzung verstanden. Es besteht ein Konflikt zwischen dem, was erwartet und dem, was tatsächlich erlebt wird. Nach der Inkongruenztheorie bringt also der Humor „zwei separate Ideen, Begriffe oder Situationen in einer überraschenden oder unerwarteten Weise zusammen“ (Böhnsch-Kauke 2003, S. 25).

Bei dem Verarbeitungsprozess inkongruenter Wahrnehmungen scheinen beide Hirnhemisphären unterschiedliche Rollen zu spielen. Die Wahrnehmung einer Inkongruenz durch die rechte Gehirnhälfte ruft negative Emotionen wie Angst, Fremdheit oder Erschrecken hervor. Dies führt zu einer Steigerung der neuralen Stimulation (vgl. Janata 1998, S. 88). In der linken Hirnhälfte werden die Eigenschaften der Situation analysiert. Dieser kognitive Prozess enthüllt dann das Lustige an den Umständen. Durch diese Analyse werden vermutlich die zunächst unangenehmen Gefühle in positive, heitere Emotionen gewandelt (vgl. Drews 2009, S. 39).


Psychoanalytische Theorien
In seinen beiden Schriften „Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten“ von 1905 und „Der Humor“ von 1927 legte Sigmund Freud die Grundlage der Theorien der Spannungsabfuhr. Witz, Komik und Humor betrachtet er als Lusterfahrungen, welche „die Ersparnis oder Ökonomie der psychischen Energie“ gemeinsam haben (Böhnsch-Kauke 2003, S. 20).

Nach Freud dürfen bestimmte Triebe, wie aggressive oder sexuelle Impulse, gesellschaftlich nicht zum Ausdruck kommen, was die Menschen zu deren Verdrängung bringt. In dem Witz sah er deshalb eine sozial akzeptierte Form, diese Bedürfnisse zu befriedigen und zugleich mit dem inneren Konflikt zwischen Norm und Bedürfnis fertig zu werden (vgl. ebd., S. 20). Die Energie, welche für die Kontrolle dieses Impulses notwendig gewesen wäre, ist überschüssig und entlädt sich im Lachen.

Den Humor setzt Freud außerdem in Verbindung mit unangenehmen Emotionen wie Furcht, Traurigkeit oder Ärger. Indem man lustige oder inkongruente Aspekte bei erlebten Ereignissen wahrnimmt, sieht man diese aus einem anderen Blickwinkel (vgl. Böhnsch-Kauke 2003, S. 21). Die Energie, welche aus diesen unangenehmen Gefühlen entstanden wäre, wird dann in Vergnügen umgewandelt. Freud sieht in dieser Eigenschaft des Humors einen Abwehr- bzw. Bewältigungsmechanismus, der es ermöglicht, den Umständen entgegen zu kommen, ohne von ihnen bezwungen zu werden.

Neben diesen wichtigen Theorien wird der Humor in der Psychologie auch als komplizierte, zusammengesetzte Emotion (vgl. Janata 1998, S. 140) betrachtet. Er gehört nicht zu den Grundemotionen wie beispielsweise Freude, Trauer, Ekel, Überraschung oder Angst, die von einem Reiz unmittelbar erzeugt werden, weil er erst nach der kognitiven Verarbeitung von einer früheren meist negativen Grundemotion erlebt wird (vgl. ebd., S. 140). Der Humor setzt sich aus verschiedenen psychischen Komponenten zusammen, die ihm nicht spezifisch sind und auch nie in der gleichen Kombination wieder auftreten (vgl. ebd., S. 140).

Ein wichtiger emotioneller Bestandteil des Humors sind dennoch die angenehmen Gefühle, sogenannte „Glücksgefühle“ (ebd., S. 141). Sie gehen zwar mit der Empfindung von Humor einher, sind ihm aber nicht spezifisch, weil sie in anderen Situationen, wie nach einem guten Essen oder beim Musikhören, ebenso gespürt werden können (vgl. ebd., S. 141).


grafik lachen
Abbildung 1: Definitionen von Humor in verschiedenen Psychologiefeldern (Fernandes nach Pluta 2013)



Verwandte Themen und Schlagworte